Äthiopien: Die Folgen des Krieges
Die Provinz Tigray hat am schwersten unter dem Krieg gelitten
Der zweijährige Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien hat in beiden Ländern tiefe Spuren hinterlassen. Zwei der ärmsten Länder der Welt haben es doppelt schwer, die schlimmsten Folgen des Krieges zu beseitigen und zur bitterarmen Normalität des Vorkriegszeit zurückzufinden. Die nördliche Provinz Äthiopiens, Tigray, war besonderns umkämpft und von Zerstörungen betroffen. UN-Soldaten sind inzwischen bei ihrer Arbeit. Ob sie viel ausrichten werden können, ist offen. Nachfolgender skeptischer Bericht erschien in der Frankfurter Rundschau und schildert die schier unlösbaren Probleme.
Sackgassen und Korridore
Äthiopiens Nordprovinz Tigray ist durch den Krieg mit Eritrea
ins Abseits geraten - jetzt sollen UN-Truppen helfen
Von Christoph Link (Zalambessa)
Zalambessa sieht aus wie Mini-Dresden nach dem Luftangriff. Zalambessa in der
Provinz Tigray war einmal eine geschäftige Stadt an der Grenze zu Eritrea, jetzt ist
es ein Steinhaufen. Bis zum Mai hatten die Eritreer die Stadt besetzt, auf ihrem
Rückzug sind sie akribisch vorgegangen und haben jedes der etwa 300 Gebäude
eingerissen oder gesprengt, nur die orthodoxe Kirche blieb verschont. Zweieinhalb
Jahre lang haben sich das vier Millionen Einwohner kleine Eritrea und der
62-Millionen-Staat Äthiopien einen erbitterten Bruderkrieg geliefert, ausgelöst durch
Grenzstreitigkeiten. Seit Juni gilt ein Waffenstillstand, nun folgt ein Friedensvertrag.
Doch Äthiopiens Premier Meles Zenawi hat klargestellt, dass eine "Normalisierung
der Beziehungen und gute Nachbarschaft" mit Eritrea unvorstellbar sei, solange die
Regierung in Asmara an der Macht sei. Zenawi stammt aus der Provinz Tigray,
einer landschaftlich faszinierenden Gegend mit Hochebenen, steilen Felskegeln
und tief eingeschnittenen Canyons. Tigray lag in der ersten Frontlinie und hat am
meisten gelitten.
Nur zögerlich beginnt in Zalambessa der Wiederaufbau. An wenigen Ruinen wird
gearbeitet, Männer mauern Wände und sägen Fensterrahmen, die Frauen kochen
vor den mit Plastikplanen geschützten Ruinen. Ein bunter Teller vor dem Eingang
signalisiert: Hier wird Essen verkauft. "Kommen Sie, meine Schwester ist krank",
ruft eine Orangenverkäuferin und zieht den Fremden in eine der
Plastikbehausungen, wo eine blasse, abgemagerte Frau liegt. Viele Bauern um
Zalambessa konnten während des Krieges ihre Felder nicht bestellen, die Leute
leben von Getreide aus US-Beständen, das das Internationale Rote Kreuz verteilt.
Die Provinz Tigray schwebt noch zwischen Krieg und Frieden. Man sieht wieder
Bauern beim Dreschen von Teff und Sorghum, die Ernte ist gut. Aber Soldaten
beherrschen überall das Bild: Panzer, Abwehrgeschütze und Munitionslager sind
versteckt hinter Bergkegeln oder in Seitentälern, Artilleriegeschütze sind in die Luft
gerichtet oder zielen versteckt hinter Biegungen auf die Straße. Äthiopien ist
hochgerüstet für einen weiteren Krieg. Erst jetzt hat die Regierung angekündigt, sie
werde den Verteidigungsetat senken, um fast 40 Prozent auf "nur noch" 500
Millionen US-Dollar. Noch ist von Abrüstung nichts zu sehen. Rund um
Zalambessa sieht man Hundertschaften beim Sturmlauf mit Gewehr und Gepäck.
Auf einem Feld hacken Soldaten mit einem Beil auf einem toten Ochsen herum,
die Schlachtung sieht wenig fachmännisch aus.
Von Zalambessa aus geht die Fahrt nördlich ins 25 Kilometer entfernte Senafe,
früher Eritrea, heute äthiopische Besatzungszone und militärisches Sperrgebiet.
Erdwälle, Schützengräben und Sandsackfestungen zeugen vom Hin und Her des
Frontverlaufs. Bauern schleppen Strohbündel die Straße entlang. "Das sind alles
Eritreer", sagt der Fahrer. Was denn der Unterschied zu der Äthiopiern sei? "Da
gibt es keinen Unterschied, wir sind alle Tigriner." Beim ersten Checkpoint lassen
sich die Soldaten noch überreden, doch vor der Einfahrt nach Senafe ist Schluss:
Nur UN-Autos dürfen in die besetzte Stadt.
In Senafe beginnt der Korridor nach Eritrea, eine von drei UN-Schneisen über die
Grenze, durch die ein Teil der 4200 Mann starken UN-Truppe vom Hafen Massawa
in Eritrea nach Äthiopien gebracht werden soll. Eine 25 Kilometer breite Pufferzone
soll zwischen Eritrea und Äthiopien gebildet werden, auf dem Gebiet von Eritrea,
das aus äthiopischer Sicht im Juni entscheidend geschlagen worden ist. Der
Streifen soll entmilitarisiert werden, später soll die Grenze neu markiert werden.
Doch das ist Zukunftsmusik. Eine Freundschaft zwischen beiden Staaten werde es
nie wieder geben, glaubt der 23-jährige Salomon, "es gab zu viele Tote". Der
arbeitslose Buchhalter sitzt unter dem Wellblechverschlag eines Schuhputzers in
Adigrat, einer Mittelstadt im östlichen Tigray. Drei seiner Freunde seien an der
Front gefallen, sagt Salomon. Adrigat war vor dem Krieg ein Handelszentrum, die
Hauptstraße von Addis Abeba nach Asmara führt hierdurch. Lastwagen brachten
aus Eritrea Seife, Haushaltswaren und Bier ins äthiopische Binnenland, im
Gegenzug lieferten Händler aus Äthiopien Vieh und Getreide Richtung Asmara.
Seit dem Krieg ist Schluss mit dem Handel. Adigrat liegt in einer Sackgasse und
ist Soldatenstadt, 3000 Mann sind hier stationiert, UN-Truppen rücken jetzt ein. Die
größte Einnahmequelle scheint das Sexgewerbe zu sein, zwei Dutzend Rotlicht-
Bars liegen an der Hauptstraße, abends sind sie voll mit Soldaten und sehr jungen
Mädchen. Nein, das habe es vor dem Krieg nicht gegeben, sagt Salomon. Die
Armut zwinge die Frauen zur Prostitution.
Gelitten hat auch die alte Königsstadt Axum, früher eine Attraktion, die täglich 50
bis 60 Touristen aus aller Welt anlockte. Jetzt träumt die Stadt vor sich hin, die
Zahl der Autos lässt sich an zwei Händen abzählen. Auch Axum ist abgeschnitten
von der Außenwelt, während des Krieges war der Flughafen geschlossen. Nur
langsam gehe es aufwärts, sagt der Hotelmanager Mahari Aragaw. Kämen zehn
Fremde am Tag, sei das schon viel. Eine australische Reisegruppe auf der
Neun-Wochen-Tour von Nairobi nach Kairo macht Station in Axum. "Wir müssen
den Umweg über Sudan nehmen, wann macht die Grenze nach Eritrea wieder
auf?", fragt der Reiseleiter. Der Manager zuckt mit den Achseln: "Wenn der
Frieden kommt, sind wir glücklich."
Die Friedenswächter sollen 4200 UN- Soldaten sein, darunter erstmals seit Jahren
in Afrika wieder europäische Einheiten, Dänen und Holländer. Rund 200 UN-
Beobachter sind schon da, in 14 Teams sind sie an der 1000 Kilometer langen
Front stationiert. In Rama zum Beispiel, gelegen an der Straße zwischen dem
äthiopischen Adua und der nur 150 Kilometer entfernten eritreischen Hauptstadt
Asmara: ein verstaubter, von den Bewohnern aus Kriegsangst weitgehend
geräumter Marktflecken. Rama liegt am Grenzfluss zu Eritrea, doch die Brücke
liegt in Trümmern, die Strom- und Wasserversorgung ist lahm gelegt. "Keinerlei
Vorkommnisse, alles ruhig", urteilt der rumänische UN-Beobachter Barcantoni
Miranda, immerhin habe es in Rama einen Austausch von 1500 Vertriebenen
beider Seiten gegeben. Mit sechs Kollegen aus sechs Nationen sitzt Miranda auf
der Terrasse eines schäbigen Buschhotels beim Mineralwasser. Die
UN-Beobachter kämpfen gegen Langeweile, die allabendliche Fliegeninvasion und
den enormen Reifenverschleiß ihrer Jeeps auf den Patrouillen. Einmal seien auf
400 Kilometern vier Reifen draufgegangen, sagt ein UN-Militär. Gerätselt wird im
Team, warum die Beobachter in Äthiopien nur einen Tagessold von 80 US-Dollar
bekommen, die auf eritreischer Seite aber 95 US-Dollar. Eine Erklärung besagt, es
handele sich um eine Art Gefahrenzulage, denn es sei wahrscheinlicher, dass bei
einem neuen Waffengang Äthiopien das geschwächte Eritrea attackiere.
Doch an Krieg glaubt keiner mehr so richtig. Abseits von der Mineralwasserrunde
der UN sitzen äthiopische Soldaten beim Koriander-Kaffee. Der 45-jährige
Offizier Tadele Nre gibt sich optimistisch. Wann es Frieden gebe, wüssten nur die
Regierungen, sagt Tadele. Wenn er aber da sei, dann begännen die Äthiopier und
Eritreer wieder "wie Brüder und Schwestern zusammenzuleben, so wie es früher
war".
Aus: Frankfurter Rundschau, 12. Dezember 2000
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