LINKE stellt Kriegsmandat infrage
Opposition verlangt Aufklärung über geheime Kommandoaktionen in Afghanistan *
Nach dem Bekanntwerden geheimer US-Akten fordert die Opposition in
Deutschland mehr Aufklärung über den Einsatz von Spezialkräften in
Afghanistan. Die Linksfraktion stellt das gesamte Bundestagsmandat für
den Einsatz am Hindukusch infrage.
Die Veröffentlichung von 90 000 überwiegend geheimen
US-Militärdokumenten im Internet hat die Debatte über den Einsatz von
Spezialkräften wieder angeheizt. Die Protokolle enthalten Informationen
über die Task Force 373 der USA, der im Einzelfall die gezielte Tötung
von Taliban erlaubt sein soll.
Der LINKE-Politiker Paul Schäfer betonte, die Arbeit der
US-Spezialeinheit Task Force 373 sei »nebulös«. Der SPD-Politiker Rainer
Arnold sagte, er habe den Eindruck, dass die Bundesregierung selbst
nicht genau über diese US-Einheit Bescheid wisse. Der Grünen-Politiker
Hans-Christian Ströbele verlangte mehr Informationen über die
Operationstruppe Task Force 47 der Bundeswehr.
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagte eine genaue
Überprüfung der veröffentlichen Akten zu. Sollte daraus eine
Sicherheitsgefährdung für die Soldaten hervorgehen, »wird man dem genau
nachgehen müssen«, sagte er bei einem Truppenbesuch in Burg. Er schloss
nicht aus, dass sich die Veröffentlichung der geheimen Dokumente auf die
Akzeptanz des Afghanistan-Einsatzes in der Bevölkerung auswirkt.
Ströbele sagte der »Neuen Presse«, er bemühe sich seit einem halben Jahr
zu erfahren, welche geheimen Kommandoaktionen von der Bundeswehr
unterstützt würden. Die TF 47 war im Zusammenhang mit dem von der
Bundeswehr befohlenen Luftangriff auf zwei Tanklastwagen in Afghanistan
im vergangenen September genannt worden. Oberst Georg Klein soll damals
vom Gefechtsstand der TF 47 agiert haben.
Laut dem verteidigungspolitischen Sprecher der Unions-Fraktion
Ernst-Reinhard Beck (CDU) ist die Bundeswehr in Afghanistan nicht an
bewussten Tötungen von Taliban beteiligt. Er sieht auch keine Mängel bei
der Aufklärung.
In Umfragen hat der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr schon lange keine
Mehrheit mehr. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang
Gehrcke, stellte die Mandate für den Bundeswehr-Einsatz infrage. Die
Lage in Afghanistan sei gravierend schlechter als auf den Konferenzen in
London und Kabul dargestellt worden sei. Im Rahmen der Internationalen
Schutztruppe ISAF sind derzeit 4590 deutsche Soldaten am Hindukusch im
Einsatz. Der Bundestag hatte die Obergrenze im Februar von 4500 auf
maximal 5350 Soldaten erhöht.
* Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2010
Washington will Schaden begrenzen
Wikileaks-Enthüllungen heruntergespielt **
Nach der aufsehenerregenden Veröffentlichung Zehntausender teils
geheimer Militärakten zum Afghanistankrieg übt sich die US-Regierung in
Schadensbegrenzung.
Sprecher von Weißem Haus und Verteidigungsministerium betonten, die
Dokumente enthielten keine neuen Enthüllungen. Sorge bereitet Washington
aber die schiere Materialmenge, die von der Website Wikileaks ins
Internet gestellt wurde. »Neu und beispiellos sind Ausmaß und Umfang
dieses Lecks«, räumte Pentagonsprecher Geoff Morrell ein. Eine
Untersuchung soll klären, wie die Dokumente an die Öffentlichkeit kamen.
Der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, brandmarkte die
Veröffentlichung auf der Enthüllungswebseite als »Verletzung von
Bundesgesetzen«. Der Schritt »hat das Potenzial, sehr schädlich zu sein,
für Militärangehörige, für jene, die mit unserem Militär
zusammenarbeiten und für jene, die für unsere Sicherheit sorgen«, sagte
Gibbs. Die Veröffentlichung sei eine »besorgniserregende Entwicklung,
was die Sicherheit von Operationen angeht«. Die Dokumente enthielten
allerdings »keine neuen Enthüllungen«, so der Sprecher weiter.
Allerdings würden dort Namen, Operationen und logistische Unternehmungen
genannt. »Das stellt eine sehr reale und potenzielle Bedrohung für jene
dar, die jeden Tag sehr hart für unsere Sicherheit arbeiten«, sagte Gibbs.
US-Medien und Experten kamen am Dienstag (27. Juli) ebenfalls zu dem
Schluss, dass die Dokumente kaum wirklich neue Erkenntnisse enthielten.
»Das Wikileaks-Material bestätigt und ergänzt die Berichte über
Afghanistan zwischen 2004 und 2009, mit denen die meisten Amerikaner
bereits vertraut sind«, schrieb die »Washington Post«.
»Die Dokumente bieten wenig neue Enthüllungen und bestehen zumeist aus
rohen und möglicherweise fehlerhaften Geheimdienstinformationen«,
urteilte das »Wall Street Journal«. »Ich habe bislang nichts in den
Dokumenten gesehen, das mich entweder überrascht oder mir etwas
Bedeutendes mitgeteilt hätte«, schrieb Afghanistanexperte Andrew Exum in
der »New York Times«.
Die Akten belegen unter anderem, dass im Einsatzgebiet der Bundeswehr
die Sicherheitslage offenkundig schlechter ist als von der
Bundesregierung eingeräumt.
** Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2010
"Was treibt eigentlich die 'Task Force 47'?"
Veröffentlichung der US-Dokumente zum Afghanistan-Krieg durch Wikileaks
wirft Fragen auf. Gespräch mit Hans-Christian Ströbele
Hans-Christian Ströbele ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und
gehörte von 2005 bis 2009 dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur
Überwachung der Geheimdienste an.
Die Internetplattform Wikileaks hat am Sonntag nahezu 92000 bislang
größtenteils geheime Dokumente des US-Militärs über den
Afghanistan-Krieg veröffentlicht. Bergen diese »War Logs«, soweit man
das heute schon überschauen kann, neue Erkenntnisse? Oder steht da, wie
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg meint, nichts wirklich
Neues drin?
Vieles hat man geahnt, aber jetzt haben wir es schwarz auf weiß, vor
allen Dingen viele Einzelheiten. Wir wissen z. B., daß die Zahlen, die
uns immer als Erfolgsmeldungen genannt wurden, wonach immer weniger
Zivilisten in dem Krieg in Afghanistan zu Tode kommen, geschönt sind.
Die wahren Opferzahlen sind viel höher als offiziell angegeben wurde.
Wir wissen aber auch, daß durch Geheimdienstoperationen der
US-amerikanischen »Task Force 373« Menschen gezielt getötet werden. Auch
das ist etwas, das viele ahnten, was aber von offizieller Seite immer
bestritten wurde.
Wie sind solche gezielten Tötungen juristisch zu bewerten?
Das ist eindeutig extralegal. Wenn jemand auf so eine Liste kommt, ist
das häufig sein Todesurteil, ohne Gerichtsverfahren. Diese Aktionen
wurden bisher immer wieder bestritten. Andererseits war bekannt, daß
diese US-Truppen der »Task Force 373« dort im deutschen Lager
Masar-i-Scharif stationiert sind. Jetzt haben wir den Nachweis dafür,
was sie wirklich tun.
Wie bewerten Sie es juristisch, wenn das deutsche Feldlager als Basis
für extralegale Todeskommandos dient? Leistet die Bundesregierung hier
Beihilfe, und wenn ja - wozu?
Erst einmal erscheint jetzt das, was vorher schon bekannt war, nämlich,
daß die US-Truppen in Afghanistan im Verantwortungsbereich der
Bundeswehr Aktionen durchführen, über die angeblich die Bundeswehr nur
ganz, ganz allgemein und sporadisch informiert wird, in einem anderen
Licht. Es gab etwa im Herbst 2009 eine Aktion, die mehrere Tage dauerte
mit ständigem Bombadement von Dörfern und einer ganzen Gegend, von der
die Bundeswehr auf Nachfrage mitteilte, sie wisse nicht, was die
US-Truppen dort machen. Jetzt aber drängt sich auch die Frage auf: Was
treibt eigentlich die »Task Force 47« - die geheime Einheit der
Bundeswehr in Afghanistan? Beteiligt sie sich an solchen Aktionen? Dafür
gibt es Anhaltspunkte.
Die Existenz dieser »Task Force 47« wurde doch vor nicht mal einem Jahr
nur durch eine Panne bekannt - im Zuge der katastrophalen Bombardierung
von zwei Tanklastzügen nahe Kundus, bei der weit über hundert Zivilisten
getötet wurden.
Ja. Bis zum Oktober des vergangenen Jahres war auch mir als Abgeordnetem
die Existenz dieser Sondereinheit nicht bekannt. Nur weil dann rauskam,
daß Oberst Georg Klein den Befehl für die Bombardierung mit den
schrecklichen Folgen in Kundus von einem Befehlsstand der »TF 47« aus
gegeben hatte und nicht vom üblichen Gefechtsstand der Bundeswehr, wurde
überhaupt die Existenz der Einheit bekannt. Seitdem versuche ich
herauszubekommen, was die da treiben. Wir wissen inzwischen, daß es sich
um eine Sondereinheit, zusammengesetzt aus Soldaten mehrerer
Bundeswehrtruppenteile, mit einer nachrichtendienstlichen Komponente
handelt. Aber was die nun konkret tun, können wir nur ahnen. Ich
vermute, daß sie ähnliche Aktionen durchführen wie auch die verwandte
US-Truppe »TF 373«.
Der Verteidigungsminister hat am Dienstag morgen (27. Juli) im ZDF
erklärt, die Abgeordneten, zumindest die Obleute in den zuständigen
Ausschüssen, seien - unter Beachtung der Geheimhaltung - laufend
informiert worden.
Nein, das stimmt nicht. Gerade darüber, was diese geheime Einheit in
Afghanistan macht, gibt es nur sehr spärliche und völlig unzureichende
Informationen. Ich versuche immer wieder, mit parlamentarischen Anfragen
mehr zu erfahren. Meist wird ausweichend geantwortet. Es gibt ein
Kontrolldefizit: Auf der einen Seite wird gesagt, über diese Einheit
wird im Verteidigungsausschuß und nicht im Parlamentarischen
Kontrollgremium zur Überwachung der Geheimdienste informiert, weil das
eine Sache der Bundeswehr ist. Auf der anderen Seite wird dann im
Verteidigungsausschuß gesagt, die Informationen würden dem
Parlamentarischen Kontrollgremium gegeben, weil es sich um eine geheime
Einheit handelt. Ich glaube, hier muß auch gesetzgeberisch nachgebessert
werden, um klarzustellen, daß es ein Recht auf vollständige Kontrolle
für beide Gremien des Deutschen Bundestages geben muß.
Interview: Jörn Boewe
* Aus: junge Welt, 28. Juli 2010
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