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Mittags ist Mordpause

Zwei UN-Helfer während Feuerpause erschossen - Zahl der Toten steigt weiter an - Raketenangriffe aus dem Libanon - Blauhelmdebatte in den Parteien

Am Tag 11 des Krieges erschien ein winziger Hoffnungsschimmer am Horizont: Israel verkündete eine dreistündige Kampfpause (von 12 bis 15 Uhr), um den Hilfsorganisationen un der UNO die Möglichkeit zu geben, Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen und zu verteilen. Hamas versprach umgehend, in dieser Zeit ebenfalls keine Raketen mehr abzufeuern. Es hätte ein erster Trippelschritt hin zu einem Waffenstillstand sein können. Doch am Tag darauf kehrte schnell Ernüchterung ein und das blanke Entsetzen zurück: Israelische Soldaten erschossen am 8. Januar während der Feuerpause zwei UN-Helfer.



Letzte Meldungen:

UN-Helfer von Israelis erschossen

Israelische Soldaten haben am Donnerstag (8. Januar) während der Feuerpause am Nachmittag im nördlichen Gazastreifen einen Konvoi des UN-Hilfswerks UNRWA beschossen und dabei zwei Helfer getötet. Der eine Helfer, ein Fahrer, starb auf der Stelle, der zweite erlag wenig später seinen Verletzungen, verlautete aus UN-Quellen in der Region. Das Hilfswerk setzte daraufhin mit sofortiger Wirkung sämtliche Aktivitäten im Gazastreifen aus, bestätigte der UNRWA-Sprecher Adnan Abu Hasna in Gaza.
Der Angriff erfolgte in der Nähe des nach Israel führenden Grenzübergangs Erez. Die Lastwagen seien mit UN-Flaggen gekennzeichnet, die Fahrer mit UN-Westen ausgestattet gewesen, fügte der Sprecher hinzu. Der Konvoi sei mit dem israelischen Militär abgestimmt gewesen.
Das israelische Militär wollte den Vorfall zunächst nicht kommentieren.

750 Tote

Die Zahl der palästinensischen Opfer seit Beginn der israelischen Offensive vor zwölf Tagen stieg nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza auf rund 750. In Gaza-Stadt seien zuletzt 35 Tote in den Trümmern gefunden worden, erklärte ein Ministeriumssprecher am Donnerstag.

Raketenangriffe aus dem Libanon

An der israelischen Nordgrenze schlugen am Donnerstagmorgen (8. Jan.) mindestens drei Katjuscha-Raketen aus dem Libanon ein, womit die Gefahr einer zweiten Front entstand. Ein Geschoss explodierte in der Küche eines Altersheims. Dabei wurden in der Nähe der Stadt Naharija zwei Menschen leicht verletzt. Der libanesische Ministerpräsident Fuad Siniora verurteilte verurteilte die Angriffe als Verstoß gegen das Waffenstillstandsabkommen von 2006.
Arbeitsminister Mohammed Fneisch, der der mit der Hamas verbündeten Hisbollah angehört, wies eine Verantwortung der Gruppe für die Angriffe zurück. Im Südlibanon sind auch Gruppen radikaler Palästinenser aktiv wie die Volksfront für die Befreiung Palästinas-Generalkommando (PFLP-GC).
Die israelischen Streitkräfte reagierten mit Artilleriebeschuss auf die Raketen. Verteidigungsminister Ehud Barak sagte: «Wir verfolgen, was im Norden passiert. Wir sind vorbereitet und werden antworten, wie es nötig ist.»

dpa, ap und andere Nachrichtendienste, 8. Januar 2009

New York, 8 January 2009 - Statement attributable to the Spokesperson for the Secretary-General on Gaza

The Secretary-General condemns the Israeli Defense Forces (IDF) firing on a United Nations aid convoy in Gaza, the killing of two UNRWA (UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) contract workers and the injuring of another. According to reports from UN agencies, this incident took place during the three-hour humanitarian lull announced by the IDF. Since the conflict began 13 days ago, four UNRWA local staff have been killed. The UN is in close touch with the Israeli authorities about full investigation of this and other incidents, and about the need for urgent measures to avoid them in the future.

The Secretary-General calls once again for an immediate ceasefire in order to facilitate full and unhindered humanitarian access, and to allow aid workers to work in safety to reach persons in need. UNRWA has been forced to suspend food distribution as it cannot guarantee the safety of its staff. The inability of the UN to provide assistance in this worsening humanitarian crisis is unacceptable.

www.un.org



Mittags ist Mordpause

Von Karin Leukefeld *

Um Hilfslieferungen durchzulassen, hat die israelische Regierung am Mittwoch zwischen 12 und 15 Uhr ihre Angriffe im Gazastreifen unterbrochen und einen »humanitären Korridor« zur Versorgung der Bevölkerung angekündigt. Nach Aussagen eines Militärsprechers wurden Versorgungsgüter und Kraftstoff durchgelassen. Die Feuerpause galt nur für Gaza-Stadt und Umgebung. Auch in den nächsten Tagen sollen solche Kampfpausen eingelegt werden, so das israelische Militär. Sollte es aber zu Angriffen auf die Armee kommen, werde geschossen. Ein führendes Mitglied der Hamas, Mussa Abu Marsuk, erklärte in Damaskus, die Organisation werde während der israelischen Feuerpause keine Raketen auf Israel abschießen. Am Mittwoch vormittag hatte die israelische Armee nach eigenen Angaben 40 Angriffe durchgeführt und dabei mindestens acht Menschen getötet.

»Israel begrüßt die Initiative des französischen und des ägyptischen Präsidenten, eine nachhaltige Ruhe im Süden herbeizuführen«, sagte Regierungssprecher Mark Regev. Der von Nicolas Sarkozy und Hosni Mubarak vorgestellte Plan sieht eine zunächst befristete Waffenruhe vor, der Gespräche über eine Lösung des Konflikts folgen sollen. Außerdem soll die Versorgung der Bevölkerung im Gazastreifen ermöglicht werden. Die Hamas erklärte, sie unterstütze eine Vereinbarung, wenn darin auch die Öffnung der Grenzübergänge vorgesehen sei.

Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge UNRWA und Vertreter der Vereinten Nationen forderten derweil eine unabhängige Untersuchung des israelischen Angriffs auf die UN-Schule in Dschamalia, bei dem am Dienstag mehr als 40 Menschen getötet worden waren. Israel erklärte, der Angriff habe Hamas-Kämpfern gegolten, die in unmittelbarer Nähe der Schule Mörsergranaten abgeschossen hätten. Regierungssprecher Regev nannte Namen von zwei Militanten, die bei dem Angriff getötet worden sein sollen. Die UNO entgegnete, man sei sich zu 99,9 Prozent sicher, daß sich in der Schule weder Waffen noch Munition der Hamas befunden hätten. Das israelische Militär führte Journalisten zum Beweis seiner Behauptung ein Video vor, das den Abschuß von Raketen aus einer UN-Schule zeigt. Das Bildmaterial stammte allerdings aus dem Herbst 2007, wie Nahost-Korrespondentin Karin Storch am Dienstag abend im ZDF berichtete.

Wie wenig genau sie es mit der Wahrheit nimmt, zeigte die israelische Regierung auch beim Abschuß eines Fahrzeuges, das angeblich mit Raketen beladen worden sein soll. Das Fahrzeug war durch die Rakete einer ferngesteuerten Drohne zerstört worden. Die umstehenden Menschen wurden getötet. Aktivisten der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem hatten die Angaben überprüft und mit Hilfe von Berichten des Fernsehsenders Al Dschasira herausgefunden, daß nicht Raketen, sondern Gasflaschen von einem Händler auf den Lastwagen geladen worden waren, um ausgeliefert zu werden (www.btselem.org). In diesem wie im Fall der UN-Schule lehnt die israelische Regierung eine unabhängige Untersuchung ab.

Seit Beginn der israelischen Militäroffensive am 27. Dezember wurden mehr als 670 Palästinenser getötet und etwa 3000 verletzt. Unter den Toten sind mindestens 130 Kinder. Auf israelischer Seite starben bisher vier Zivilisten und sechs Soldaten, vier von ihnen durch Beschuß aus den eigenen Reihen.

* junge Welt, 8. Januar 2009


Deutsche Blauhelme nach Gaza?

Koalitionspolitiker sehen denkbare Option / LINKE strikt dagegen / Regierung: Debatte verfrüht **

Während die Zahl der Todesopfer durch die israelische Gaza-Invasion steigt und die humanitäre Krise immer schlimmere Ausmaße annimmt, halten Politiker von Union und SPD eine Entsendung deutscher Blauhelmsoldaten in den Gaza-Streifen für denkbar.

Berlin/Gaza-Stadt (Agenturen/ ND). »Wenn es von den Konfliktparteien gewünscht wird, sollten deutsche Soldaten natürlich eine Rolle spielen«, sagte der SPD-Außenpolitiker Gert Weißkirchen zur Frage einer möglichen Entsendung deutscher UNO-Soldaten in den Gaza-Streifen. Auch Eckart von Klaeden (CDU) schloss einen »Beitrag der Bundeswehr zur Friedenssicherung« nicht aus.

Für die Bundestagsfraktion DIE LINKE erklärte deren außenpolitischer Sprecher Norman Paech, er halte den Einsatz einer UNO-Friedenstruppe »grundsätzlich für richtig, um die Kämpfe im GazaStreifen zu beenden«. Allerdings bedürfe dieser der Zustimmung von Israelis und Palästinensern. Zudem dürfe er »nicht lediglich dazu dienen, die Waffenlieferungen an die Hamas zu unterbinden, sondern müsste auch den militärischen Angriffen der Israelis Einhalt gebieten«. Die Blauhelme sollten, um effektiv zu sein, sowohl auf palästinensischem als auch auf israelischem Gebiet stationiert werden. Zu einem möglichen Engagement deutscher Soldaten im Gaza-Streifen erklärte Paech, er halte dies »aufgrund der deutschen Geschichte« für unangebracht. Wolfgang Gehrcke, Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss, erklärte: »Es bleibt dabei: Deutsche Soldaten haben in dieser Region nichts verloren.«

Die Bundesregierung hält die Debatte über eine deutsche Beteiligung an einer möglichen internationalen Gaza-Friedenstruppe für verfrüht. Zunächst gehe es um eine Waffenruhe zwischen Israelis und der Hamas, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin.

Angesichts der wachsenden Kritik an der israelischen Offensive im Gaza-Streifen hat der Zentralrat der Juden in Deutschland zur Solidarität mit Israel aufgerufen. Für die aktuelle Lage im Gaza-Streifen trage die radikal-islamische Hamas die alleinige Verantwortung, erklärte Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch am Mittwoch (7. Jan.). Die »islamistische Terrororganisation« habe die Waffenruhe einseitig aufgekündigt und damit den Konflikt provoziert. »Israel hat das legitime Recht, ja sogar die Pflicht, seine Bürger zu schützen und die einzige Demokratie im Nahen Osten vor terroristischen Anschlägen zu verteidigen«, sagte Knobloch. Die Zentralratspräsidentin kritisierte die ihrer Meinung nach einseitige öffentliche Debatte zum Nahost-Konflikt. Über die Bedrohung des Staates Israel und seiner Bevölkerung durch die Hamas werde geschwiegen. Das erklärte Ziel des Terrors sei, Israel von der Landkarte auszuradieren.

Unterdessen stieg die Zahl der palästinensischen Todesopfer bei dem Gaza-Militäreinsatz Israels auf 700. Wie die palästinensische Gesundheitsbehörde am Mittwoch mitteilte, wurden weitere 3100 Palästinenser verletzt. Nach Angaben des UNO-Büros für die Koordinierung der humanitären Hilfe handelt es sich bei der Hälfte aller Todesopfer um Frauen sowie Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Hilfsorganisationen aus zehn europäischen Ländern riefen die EU auf, den diplomatischen Druck auf Israel zu erhöhen. Die humanitäre Situation im Gaza-Streifen verschärfe sich im Zuge des Konflikts von Tag zu Tag, erklärten der deutsche Verband »medico international« und andere Gruppierungen am Mittwoch in Brüssel. Die EU müsse daher die geplanten Abkommen mit Israel für eine engere Zusammenarbeit auf Eis legen.

Die israelische Luftwaffe flog am Mittwoch (7. Jan.) mehr als 40 Angriffe. Erstmals seit dem Beginn der Militäroffensive unterbrach die Armee die Angriffe für drei Stunden. Israel erklärte sich angesichts internationalen Drucks zu diesem Schritt bereit, der die Versorgung der notleidenden Bevölkerung ermöglichen soll.

** Neues Deutschland, 8. Januar 2009


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