Mehr als eine Fehde Uribe - Chávez
In Kolumbiens Alltag sind die Spannungen mit Venezuela aber kaum wahrzunehmen
Von Raul Zelik, Medellin *
Der Konflikt zwischen Kolumbien und Venezuela konnte auch beim
Mercosur-Gipfel im argentinischen San Juan nicht beigelegt werden. Die
Gefahr eines Krieges scheint dennoch nicht akut. Viel spricht dafür,
dass beide Seiten vielmehr von internen Problemen ablenken wollen.
Vom Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Venezuela ist im
kolumbianischen Alltag bisher wenig zu spüren. Zwar hat die Regierung
für die Grenzregionen den »ökonomischen Notstand« ausgerufen. Doch im
Rest Kolumbiens kann von Krise oder Kriegsangst keine Rede sein.
Die neuerliche Krise brach vor zwei Wochen aus, als die Regierung des
Präsidenten Álvaro Uribe Venezuela vorwarf, die kolumbianischen
Guerillas FARC und ELN zu unterstützen. Der Zeitpunkt der Anklage war
auffällig: Staatschef Uribe, der 2002 mit dem Versprechen angetreten
war, die FARC in einem Jahr zu besiegen, übergibt sein Amt am kommenden
Wochenende dem früheren Verteidigungsminister Juan Manuel Santos. Die
Attacken gegen Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez erfüllen
offensichtlich die Funktion, dem Wahlvolk einen Verantwortlichen für die
Nichterfüllung des wichtigsten Wahlversprechens zu liefern. Denn auch
wenn die Guerillaorganisationen in den vergangenen Jahren stark
geschwächt wurden, sind sie nach wie vor unbesiegt.
Darüber hinaus hat der kolumbianische Präsident erhebliches Interesse
daran, von diversen Skandalen abzulenken. So wurde gegen seinen Sohn
Tomás vergangene Woche ein Ermittlungsverfahren wegen Korruption
eingeleitet, weil er die Vergabe öffentlicher Lizenzen an die
Unterstützung der Wiederwahlkampagne seines Vaters geknüpft haben soll.
Zudem werden immer neue Vorwürfe gegen die Geheimpolizei DAS bekannt,
die in den vergangenen Jahren nicht nur Oppositionspolitiker und
Gewerkschafter, sondern auch die obersten Verfassungsrichter
ausspionierte und Todeslisten an Paramilitärs übergab. Außerdem hat ein
ehemaliger Polizeimajor ältere Aussagen bestätigt, wonach Santiago
Uribe, der Bruder des Präsidenten, Mitgründer einer
Paramilitärorganisation gewesen ist. Und als wäre das alles nicht
gravierend genug, wurde im südkolumbianischen Macarena kürzlich das
größte Massengrab des Landes entdeckt, in dem mehr als 2000 Tote von der
kolumbianischen Armee verscharrt worden sein sollen.
Die heftige Reaktion der Chávez-Regierung, die die Vorwürfe aus Bogotá
sofort als Kriegsvorbereitungen anprangerte, ist durchaus verständlich.
Caracas hat durchaus Gründe, gegenüber Bogotá misstrauisch zu sein. Seit
Chávez' Amtsantritt haben kolumbianische Paramilitärs, die eng mit dem
kolumbianischen Staatsapparat verwoben sind, immer wieder im Nachbarland
operiert. 2004 wurden 100 Paramilitärs in Caracas verhaftet, als sie
bewaffnete Aktionen in Venezuela vorbereiteten. Ein hochrangiger Beamter
der kolumbianischen Geheimpolizei sagte in diesem Zusammenhang schon vor
einigen Jahren vor der Justiz aus, seine Behörde habe mit Rückendeckung
der Uribe-Regierung systematisch gegen Chávez konspiriert. Und auch dass
sich Kolumbien durch das Militärabkommen mit den USA als Stützpunkt für
Interventionen angedient hat, schürt begreiflicherweise das
venezolanische Misstrauen.
Andererseits nutzt auch die Chávez-Regierung die Krise, um von
hausgemachten Problemen abzulenken. Im September stehen Parlamentswahlen
auf der Tagesordnung, bei denen dem Regierungslager empfindliche
Verluste vorhergesagt werden. Die Gründe sind vielfältig: Die Korruption
wuchert wie eh und je, das Land ist nach wie vor völlig abhängig von den
Erdöleinnahmen, und die unter Chávez gegründeten genossenschaftlichen
und staatlichen Betriebe zeichnen sich vor allem durch Ineffizienz aus.
Dazu kommt, dass die in der bolivarianischen Verfassung angelegte
Demokratisierung kaum umgesetzt wird. Die neue Staatsbürokratie
kontrolliert das öffentliche Leben, und der Personenkult um Chávez trägt
auch nicht gerade zu einer kritischen Debatte im Land bei.
Es ist sicherlich verkürzt, die Krise mit persönlicher Rivalität
zwischen Uribe und Chávez zu erklären, wie es die brasilianische
Regierung und zahlreiche Beobachter getan haben. Doch es geht auch nicht
nur um Außenpolitik. Die Sachlage an der Grenze ist komplexer: Es
stimmt, dass die kolumbianischen Guerillas - nicht erst seit Chávez'
Amtsantritt - auf beiden Seiten der Grenze operieren und dass sich die
venezolanischen Streitkräfte nicht der Guerillabekämpfung widmen. Doch
der venezolanische Außenminister Nicolás Maduro hat zu Recht immer
wieder darauf hingewiesen, dass der bewaffnete Konflikt in Kolumbien
einer politischen Lösung bedürfe und Caracas nicht einfach 2000
Kilometer Grenze militarisieren könne.
Die Unternehmerverbände auf beiden Seiten hoffen auf jeden Fall, dass
sich die Situation mit dem Amtsantritt Juan Manuel Santos' wieder
entspannen wird. Tatsächlich waren die letzten Signale aus Bogotá
versöhnlicher. Santos hat zwar angekündigt, die Politik Uribes
fortzusetzen, sich in einigen Punkten aber doch leicht von seinem
Vorgänger distanziert. Für Santos, der anders als Uribe aus einer alten
Politikerdynastie stammt und den traditionellen Machteliten verbunden
ist, dürfte das ökonomische Argument schwer wiegen: Venezuela ist der
wichtigste Absatzmarkt für kolumbianische Produkte.
* Aus: Neues Deutschland, 5. August 2010
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