Superbarrios 20. Geburtstag
Ein Museum errinnert an den Helden der mexikanischen Stadtteilbewegung
Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt *
»Superbarrio ist nicht mehr auf der Straße. Alles was er dachte, wofür er kämpfte, woran er glaubte,
und auch seine Schöpfungen sind dort, wo Geschichte und Erinnerung aufbewahrt werden – im
Museum.« Im Fazit von Marco Rascón schwingt ein gutes Maß an Bitterkeit und Nostalgie mit.
Rascón gilt als der geistige Vater eines mexikanischen Helden der besonderen Art.
Im Juni 1987 tauchte Superbarrio erstmals in der Öffentlichkeit auf. Im Stil der mexikanischen
Freistilkämpfer maskiert, mit den goldfarbenen Buchstaben »SB« auf dem rotglänzenden
Elastikanzug, der seinen nicht zu verachtenden Bauchansatz erst richtig zur Geltung brachte, wurde
er schnell zur Symbolfigur der großen Stadteilbewegung, die sich in Mexiko-Stadt nach dem
Erdbeben im September 1985 gegründet hatte.
Die in der Asamblea de Barrios organisierten Bewohner der Stadtviertel erkämpften sich gegen die
Hauptstadtverwaltung, die damals noch von der Zentralregierung der jahrzehntelang herrschenden
Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) eingesetzt wurde, durch Demonstrationen,
Grundstücksbesetzungen und Verhandlungen das Recht auf Wohnraum. Anfangs stumm, bald
jedoch als gewichtiger und wichtiger Gesprächspartner hinter der Maske, spielte Superbarrio bei
diesen Aktionen seine Rolle: Bei manchem Marsch schritt der Anti-Athlet vorneweg.
Mit wachsender Popularität bekam er einen Nachnamen, fortan kämpfte er als Superbarrio Gómez.
Nicht nur für Wohnraum, sondern zusammen mit der Asamblea und anderen Organisationen für eine
gewählte Hauptstadtregierung, für eine transparente und demokratische Politik. Indem Superbarrio
die herrschende Politik parodierte und karikierte, brachte er Humor und Ironie in den oft auf Parolen
und starre Aktionsmuster fixierten Widerstand gegen die Herrschenden. Der Hauptstadtheld hatte
seinen Anteil an der ersten landesweiten linken Oppositionsbewegung, die 1988 nur durch
Wahlbetrug am Sieg bei den Präsidentschaftswahlen gehindert wurde. Superbarrio Gómez zog
seine Kandidatur zugunsten des PRI-Dissidenten Cuauhtémoc Cárdenas zurück, dieser bedankte
sich im Gegenzug angeblich damit, dass er auf seinen eigenen Wahlzettel »Superbarrio« schrieb.
Eingeweihten war die Identität Superbarrios bald bekannt, öffentlich gemacht wurde sie jedoch erst
viel später. Nicht umsonst schreibt Marco Rascón, der selber einmal kurzfristig für den eigentlichen
anonymen Helden einsprang, im Rückblick von der »kollektiven Vorstellungskraft, die dieser
aufbaute«. Laut Rascón standen die Maske und die geheime Identität für den »kollektiven Bürger«.
Superbarrio schuf ein Bewusstsein für »das Recht auf die Stadt« und »er ermutigte die soziale und
politische Partizipation, die Bürgerinitiative«.
Das machte ihn zur Figur über Mexikos Grenzen hinaus. Er wurde nach Europa und Lateinamerika
eingeladen, nach dem Vorbild in Mexiko-Stadt gründeten sich Asambleas de Barrios in anderen
Ländern. Dustin Hoffman wollte einen letztendlich nicht verwirklichten Film über ihn und die
Stadtteilbewegung drehen.
Als die aus der Opposition von 1988 entstandene Partei der Demokratischen Revolution (PRD)
einen Teil der Bewegung aufsog, die Asamblea de Barrios sich langsam in Klientelgruppen
aufsplitterte und die PRI-Regierung in den ersten freien Kommunalwahlen 1997 durch die PRD
abgelöst wurde, verloren die Auftritte Superbarrios zunehmend ihren Sinn. Anders als Superman
und Spiderman erkannte er die Zeichen der Zeit. Bereits 1995 zog er sich weitgehend zurück.
Nach nur noch sporadischen Auftritten verweigert er sich seit 1997 ganz der Öffentlichkeit. »Eines
Tages, so wie er kam, ging er einfach«, bemerkt Marco Rascon lakonisch. Die Mega-Stadt Mexiko
verschluckte ihn, vergessen ist er jedoch nicht. Zum 20. Geburtstag würdigen auch die offiziellen
Stadtvertreter der inzwischen in der Hauptstadt bereits zweimal wiedergewählten PRD die Asamblea
de Barrios und Superbarrio Gómez. Mit einer Ausstellung im Museum.
* Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2007
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