Indien und Pakistan: Friedensbewegung zwischen den Fronten
Forderung nach Verzicht auf militärische Lösung bleibt ungehört
Im Folgenden dokumentieren wir einen aktuellen Bericht über die Haltung der Friedensbewegungen in Indien und Pakistan sowie ein Interview mit einem Sprecher eines Bürgerkomitees in Pakistan. Beides enthalten in der "jungen welt" vom 9. Januar 2002.
Von Harald Neuber
Erst wenn die pakistanische Militärregierung »sichtbar gegen die Extremisten
vorgeht« will der indische Ministerpräsident Atal Bihari Vajpayee den Dialog
mit dem Nachbarland wieder aufnehmen. Auch nach der Stippvisite des
britischen Premier Tony Blair Anfang der Woche in Islamabad und Neu-Delhi
konnten die Spannungen zwischen beiden Regierungen um den Unionsstaat
Jammu-Kaschmir nicht beseitigt werden.
Weitgehend ungehört bleibt die Forderung nach einem Verzicht auf
militärische Lösungen, die in beiden Staaten von der Friedensbewegung
erhoben wird. »Tief besorgt über das an der Grenze aufgefahrene Militär«,
zeigt sich Praful Bidway, der Koordinator des Netzwerkes »People for Peace«
in der indischen Hauptstadt Neu-Dehli. »Um die Situation zu beruhigen, ist
ein Gespräch zwischen den unmittelbaren Akteuren, dem pakistanischen
Präsidenten Pervez Musharraf und Vajpayee unabdingbar«, sagte Bidwai am
Dienstag im Gespräch mit junge Welt. Einem solchen Dialog verweigert sich
die indische Regierung jedoch, nachdem am 13. Dezember das indische
Parlament in Neu-Delhi von islamischen Fundamentalisten militärisch
attackiert wurde. Zwar sei die Forderung an die pakistanische Regierung
gerechtfertigt, alle Verbindungen zu islamischen Extremisten zu kappen, sagt
der Friedensaktivist. Für die indische Regierung bedeute das aber nicht,
unbedacht zu Vergeltungsschlägen ausholen zu dürfen.
Solche beschwichtigenden Stimmen sind auch in Pakistan zu hören. Bei einem
Treffen von Friedensgruppen aus den »Zwillingsstädten« Islamabad und
Rawalpindi wurde die Festnahme von über 100 führenden Mitgliedern
islamistischer Organisationen begrüßt. »Dieser neue Umgang mit den
Extremisten war dringend nötig«, heißt es in einer gemeinsam Erklärung der
Gruppen. Eine neue Orientierung des Staates dürfe aber nicht von außen
erzwungen werden. Indien müsse verstehen, daß die Loslösung von den
fundamentalistischen Gruppen ein für den pakistanischen Staat »langwieriger
und schmerzhafter Prozeß ist«.
Um im Streit um das von beiden Staaten beanspruchte Kaschmir Rückhalt zu
haben, arbeiten die beiden Regierungen derweil an neuen Allianzen. Bestätigt
haben sich die Befürchtungen der pakistanischen Führung, mit dem Sturz der
Taliban einen wichtigen Bündnispartner zu verlieren. Erst am 20. Dezember
hatte der Präsident der afghanischen Übergangsregierung, Hamid Karsai,
erklärt, Indien sei seine »zweite Heimat«. Zudem sind seit Antritt der neuen
Machthaber bereits drei Minister nach Neu-Dehli zu Gesprächen gereist. Die
indische Regierung stellte daraufhin 20 Millionen US-Dollar Soforthilfe für
Afghanistan zur Verfügung und wurde damit dem Wunsch Karsais gerecht,
Neu-Dehli solle der wichtigste Partner beim Wiederaufbau des Landes sein.
In Anbetracht dieser Entwicklungen übt Musharraf den Schulterschluß mit
China. Zum Gipfel in Katmandu traf der pakistanische Militärmachthaber
verspätet aus Peking ein. Offizielle Begründung war »dichter Nebel«, zu
vermuten sind schwierige Verhandlungen.
An einem »historischen Wendepunkt« sieht das Netzwerk »People for Peace«
Südasien. Daher sei besonnenes Vorgehen auf allen Seiten nötig. Die aktuelle
Entwicklung wird dieser Erwartung kaum gerecht: Auch am Dienstag kam es
wieder zu Gefechten zwischen indischen und pakistanischen Soldaten an der
Grenze. In Kaschmir überfielen militante Moslems ein Militärlager und
töteten drei indische Soldaten.
Aus: junge welt, 9. Januar 2002
Spannungen um Kaschmir: Wie reagieren Friedensgruppen?
jW fragte Aasim Sajjad Akhtar, Sprecher der zivilen Bürgerkomitees« in der
pakistanischen Hauptstadt Islamabad
(Interview: Harald Neuber)
F: Auch nach dem Gipfel der Südasiatischen Vereinigung für regionale
Zusammenarbeit (SAARC) am vergangenen Wochenende im nepalesischen Katmandu
und dem Besuch des britischen Premier Tony Blair Anfang der Woche ist das
Verhältnis zwischen den Regierungen von Pakistan und Indien gespannt. Wie
ist die Stimmung der pakistanischen Bevölkerung?
Die Menschen sind besorgt. Ich finde es wichtig, daß die Reaktionen auf
diese Krise in der Bevölkerung sehr bedacht sind. Es gab keine größeren
anti-indischen Demonstrationen in Pakistan, anders als in Indien, wo große
Proteste gegen Pakistan stattgefunden haben. Die Mehrheit der Menschen in
Pakistan will einen Krieg vermeiden, das unterscheidet die Stimmung sehr von
vergangenen Krisen mit Indien. Allerdings sind die Menschen auch besorgt
wegen der aggressiven Stimmung in Indien. Der Großteil der Bevölkerung
agiert trotzdem auch bei Demonstrationen mit Vorsicht. Das kann man beim
Umgang der pakistanischen Regierung mit der Krise nicht erkennen.
F: Welche Aktionen haben Sie bislang organisiert, und wie hat die
Militärregierung darauf reagiert?
Wir haben regelmäßig Treffen organisiert und seit Beginn des Krieges der USA
gegen Afghanistan verstärkt auch Aktionen auf der Straße. Während wir dabei
gegen die offizielle Politik der Militärregierung von General Musharraf
opponierten und Probleme mit der Polizei hatten, war nicht vorhersehbar, wie
der Sicherheitsapparat auf die Aktionen der Friedensgruppen in der aktuellen
Lage reagieren würde. Wir gingen davon aus, keine Probleme zu bekommen, weil
auch Musharraf den politischen Dialog mit Indien zu favorisieren schien.
Trotzdem sind die letzten beiden Friedensdemonstrationen an der
pakistanisch-indischen Grenze zusammengeknüppelt worden. Die Bedrohung durch
Polizei und Militär hat wieder zugenommen. Uns haben diese Angriffe
überrascht, denn sie widersprechen der offiziellen Linie der Regierung. Wir
weisen nach wie vor auch auf die Rolle wichtiger Regierungskreise beim
Aufbau extremistischer Gruppen hin und fordern einer Änderung dieser
Politik. Entweder hat das die Reaktionen des Sicherheitsapparates
provoziert, oder die pakistanische Regierung erwägt eine härtere Linie im
Konflikt mit Indien.
F: In Europa wird General Musharraf als friedensorientierter Politiker
dargestellt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ich denke, daß der General an einer politischen Lösung interessiert ist. Man
darf aber nicht vergessen, daß er das Oberhaupt einer Militärregierung und
selbst ein Militär ist. Die Armee ist zugleich die Gruppe, deren
Hauptinteresse im Krieg oder zumindest im dauerhaften Konflikt besteht. Die
langfristige Ausrichtung der pakistanischen Politik werden wir also genau
verfolgen. Es bleibt zu hoffen, daß Musharrafs derzeitige Politik auf die
Armee Einfluß nehmen wird und nicht umgekehrt.
F: Wieweit hängt die pakistanische Politik von der Person Musharraf ab?
Fast alle aktiven Parteien liegen mit der Regierung auf einer Linie. Alle
Akteure versuchen, bei Musharraf gute Karten zu haben, um sich für kommende
Wahlen eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. Dazu sind auch die
Beziehungen zur Armee von Bedeutung. Es ist also nicht weit hergeholt, zu
sagen, daß sich die Politik in Pakistan einzig um Musharraf dreht. Die
großen Parteien hätten dabei durchaus eine Möglichkeit, sich zu Wehr zu
setzen. Leider davon aber nichts zu spüren.
F: Haben die neuen außenpolitischen Allianzen seit Beginn des Krieges der
USA gegen Afghanistan politische Auswirkungen auf Pakistan?
Bis auf die teilweise Ausbootung der fundamentalistischen Gruppen hat sich
bis jetzt nicht viel verändert. Aber wir sind vorsichtig, ob die
Aufkündigung der traditionell engen Kooperation zwischen dem pakistanischen
Staat und islamischen Fundamentalisten nicht nur ein taktisches Manöver ist.
F: Erstaunlich ist, daß ausgerechnet der britische Premier Blair zur Lösung
beitragen soll, der Chef eines Staates, dessen koloniale Herrschaft für
einen Großteil der Probleme in der Region verantwortlich ist. Was ist von
seiner Initiative zu erwarten?
Blair plappert nach, was Bush vorgibt. Er kümmert sich um nicht viel, außer
den Einfluß auf Afghanistan als Rummelplatz für den Westen. Das ist der
einzige Grund für seine Vermittlungsversuche zwischen Indien und Pakistan.
Aus: junge welt, 9. Januar 2002
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