Uruguay arbeitet Verbrechen der Diktatur auf
Amnestiegesetz für Untaten der letzten Militärherrschaft als verfassungswidrig verworfen
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *
Uruguay ist der juristischen Aufarbeitung seiner Vergangenheit einen großen Schritt näher
gekommen. Am Mittwoch (Ortszeit) erklärte die Generalversammlung des Kongresses das
Amnestiegesetz für die Menschenrechtsverbrechen der letzten Militärdiktatur (1973-1985) in einem
konkreten Fall für verfassungswidrig.
Die Zeit läuft: Der oberste Gerichtshof in Uruguay muss die Entscheidung des Kongresses über die
Verfassungswidrigkeit des Amnestiegesetzes innerhalb der kommenden 110 Tage prüfen. Zwar ist
unabhängig davon das 1986 beschlossene Strafverjährungsgesetz, das die Militär- und
Polizeiangehörigen vor der Strafverfolgung für ihre Vergehen in der Zeit der Diktatur schützt, weiter
in Kraft, doch wenn der Oberste Gerichtshof der Kongressentscheidung folgt, wäre ein Präzedenzfall
geschaffen. Den Stein ins Rollen brachte die Staatsanwältin Mirtha Guianze im Oktober 2008. Nach
ihrer Auffassung sollten jene Militärs aus dem Verjährungsgesetz ausgenommen werden, die
mutmaßlich an der Ermordung der Kommunistin Nibia Salsagaray beteiligt waren. Die 24-Jährige
war im Juni 1974 in einem Gefangenenlager der Militärs gefoltert und getötet worden.
Im Zuge ihrer Untersuchung hatte die Staatsanwältin eine Einrede wegen der Verfassungswidrigkeit
des Verjährungsgesetzes in diesem Fall eingelegt. Die Regierung hatte dem Begehren vor einer
Woche zugestimmt und den Obersten Gerichtshof damit in Zugzwang gebracht. Der hatte daraufhin
den Kongress um seine Entscheidung gebeten. Die Delegierten der beiden Kammern des
Kongresses sprachen sich in diesem konkreten Fall mit den 69 Stimmen der linken Regierungspartei
Frente Amplio für die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes aus. Zwei Abgeordnete votierten
dagegen, die übrigen 59 Delegierten der Opposition hatten vor der Abstimmung den Saal verlassen
oder waren gar nicht erst erschienen.
Das »Gesetz über die Hinfälligkeit des Strafanspruchs des Staates« war im Dezember 1986 unter
Präsident Julio María Sanguinetti (1985-1990) vom Parlament beschlossen worden. Seither sichert
es allen Polizei- und Militärangehörigen Straffreiheit für vor dem 1. März 1985 begangene
Menschenrechtsverletzungen zu. Die Verantwortung, den Fällen von Menschenrechtsverletzungen
nachzugehen, wurde der Exekutive übertragen. Die blieb jedoch untätig. 1989 war das Gesetz in
einem Referendum von 57 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung bestätigt worden.
Erst mit der Amtsübernahme von Präsident Tabaré Vázquez im Jahr 2005 hat die Regierung
ernsthaft damit begonnen, die Verbrechen der Diktatur juristisch aufzuarbeiten. Seither werden die
Lücken im Gesetz genutzt, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu können. In 47
Fällen ist dies bisher gelungen. Im September 2006 wurden erstmals sechs Militärs und zwei
Polizisten zu Haftstrafen verurteilt.
Während im Kongressgebäude die Debatte lief, sammelte eine Initiative von
Menschenrechtsaktivisten weiter Unterschriften für ein neues Referendum über das
Strafverjährungsgesetz. Zehn Prozent der Wahlberechtigten müssen mit ihrer Unterschrift
zustimmen, damit erneut eine Volksbefragung angesetzt werden kann. Bis April wollen die Initiatoren
die nötigen rund 300 000 Signaturen zusammenbringen. Bisher haben 211 000 Personen
unterschrieben.
Insgesamt wurden 40 000 Menschen während der Diktatur aus politischen Gründen inhaftiert, die
meisten gefoltert und viele ermordet. Über den Verbleib von knapp 200 Personen gibt es bis heute
keine Gewissheit.
* Aus: Neues Deutschland, 27. Februar 2009
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