Auslandseinsätze der Bundeswehr an Völkerrecht und Menschenrechte binden
Antrag der GRÜNEN im Bundestag und sämtliche zu Protokoll gegebene Reden dazu im Wortlaut
Im März 2008 brachte die Fraktion der GRÜNEN im Deutschen Bundestag einen Antrag ein, der die Auslandseinsätze der Bundeswehr an das Völkerrecht binden sollte. Der Antrag kam am 25. September 2008 auf die Tagesordnung der 179. Sitzung der 16. Wahlperiode. Eine Diskussion fand nicht statt, die Redebeiträge wurden allesamt zu Protokoll gegeben. Im Folgenden dokumentieren wir:
Deutscher Bundestag, Drucksache 16/8402
16. Wahlperiode 05. 03. 2008
Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Winfried Nachtwei, Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für klare menschen- und völkerrechtliche Bindungen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
-
über die völkerrechtlich korrekte und parlamentsrechtlich eindeutige Mandatierung von Auslandseinsätzen hinaus Klarheit über die menschen- und völkerrechtlichen Bindungen und die Grenzen zulässigen Vorgehens bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu schaffen;
- sicherzustellen, dass bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr grund- und menschenrechtliche Verpflichtungen sowie die Normen des humanitären Völkerrechts eingehalten werden;
- sicherzustellen, dass an Auslandseinsätzen beteiligte deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht zu bestimmten Handlungen angeleitet werden, für die sie sich später möglicherweise strafrechtlich verantworten müssen;
- sicherzustellen, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten bei gemeinsamen Operationen mit Streitkräften anderer Staaten sich nicht an Operationen beteiligen, die nach den für deutsches staatliches Handeln geltenden Normen nicht zulässig wären.
Berlin, den 5. März 2008
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
Begründung
Auslandseinsätze der Bundeswehr sind zwingend an das Völkerrecht und die Menschenrechte gebunden. Das ist auch das Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten. Zu Recht stellt die neue Zentrale Dienstvorschrift 10/1 „Innere Führung“ fest, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr als „Staatsbürger in Uniform“ „den Werten und Normen des Grundgesetzes in besonderer Weise verpflichtet“ sind. Die Erfahrungen gerade mit den konkreten Einsatzbedingungen in Afghanistan und insbesondere bei der Operation Enduring Freedom zeigen aber: Der Bundesregierung ist es bisher nicht gelungen, die menschen- und völkerrechtlichen Grenzen und Bindungen bei Auslandseinsätzen klar zu definieren und erlaubtes von unerlaubtem Handeln deutlich abzugrenzen. Im Zusammenhang mit dem Einsatz in Afghanistan geht es dabei um so entscheidende Fragen wie die, was mit festgenommenen Personen zu geschehen hat, und ob und unter welchen Bedingungen eine Übergabe dieser Personen an andere Institutionen zulässig ist. Es geht aber auch darum, ob deutsche Soldatinnen und Soldaten z. B. über Luftaufklärung zur Auswahl und Identifizierung von Personen und Zielobjekten einen aktiven Beitrag zu gezielten Tötungen leisten dürfen.
Eine Bestimmung des zulässigen Vorgehens im Einzelfall setzt Klarheit über die geltenden rechtlichen Grundsätze voraus. Sogar innerhalb des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) gab es dazu allerdings in der Vergangenheit konträre Auffassungen, die beispielsweise im Jahre 2002 in zwei sich widersprechenden Rechtsgutachten Niederschlag fanden. Innerhalb der Bundesregierung führten Versuche der Abstimmung zwischen den beteiligten Häusern nicht zur Auflösung des Dissenses. In der Konsequenz wird die Verantwortung bei den Soldatinnen und Soldaten abgeladen.
Zur Frage der Behandlung von festgenommenen Personen hat das BMVg nunmehr in einem Befehl vom 26. April 2007 zumindest grundlegende Regelungen niedergelegt. Es fällt jedoch auf, dass dieser Befehl jegliche Bezugnahme auf grund- und menschenrechtliche Standards oder Normen des humanitären Völ- kerrechts vermeidet. So fehlt jeder Hinweis auf die Garantien des Grundgesetzes, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder die Regelungen des humanitären Völkerrechts. Dabei ist alle staatliche Gewalt an das Grundgesetz und die menschenrechtlichen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich eingegangen ist, gebunden.
Der so genannte bewaffnete Kampf gegen Straftäter, wie der Einsatz in Afghanistan von der Rechtsabteilung des BMVg bezeichnet wird, findet mangels Festlegung daher weiterhin in einer rechtlichen Grauzone statt. Das Konstrukt der Strafverfolgung mit militärischen Mitteln führt dazu, die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes zu vernebeln und sich von rechtlichen Bindungen zu lösen. Gerade Auslandseinsätze der Bundeswehr aber bedürfen einer klaren rechtlichen Grundlage: Nicht nur der Deutsche Bundestag braucht Klarheit über den Umfang und die – rechtlichen – Grenzen eines von ihm zu verantwortenden Auslandseinsatzes. Insbesondere die beteiligten Soldatinnen und Soldaten benötigen Rechtssicherheit. Sie dürfen nicht in rechtlichen Grauzonen operieren, und sie dürfen nicht im Unklaren gelassen werden, ob ihr Vorgehen rechtlich zulässig ist oder einen Rechtsverstoß darstellt.
Aus dem Sitzungsprotokoll vom 25. September
Tagesordnungspunkt 26:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Winfried Nachtwei, Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für klare menschen- und völkerrechtliche
Bindungen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr
Drucksache 16/8402
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Holger
Haibach, CDU/CSU,
Christoph Strässer, SPD,
Florian Toncar, FDP,
Dr. Norman Paech, Die Linke,
Volker Beck (Köln), Bündnis 90/Die Grünen, und des fraktionslosen
Gert Winkelmeier.
Holger Haibach (CDU/CSU):
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr leisten seit
vielen Jahren in Auslandseinsätzen einen wichtigen Beitrag
nicht nur für die Sicherheit Deutschlands, sondern
auch für den Schutz der Menschenrechte. Sie nehmen teil
an humanitären und friedenssichernden Missionen und
sorgen durch ihre Präsenz für den notwendigen Schutz,
der in einer Krisenregion erst die unabdingbaren Voraussetzungen
für den Wiederaufbau schafft: Stabilität und Sicherheit!
Dafür gebührt ihnen unser tief empfundener
Dank.
Militärisches Handeln findet allerdings nicht im luftleeren
Raum statt. Das bedeutet, dass das Handeln von
Soldatinnen und Soldaten von verschiedenen Faktoren
abhängig ist: vom Einsatzgebiet, von der Aufgabenstellung
und nicht zuletzt von den anderen Akteuren vor Ort
ob feindlich, freundlich oder neutral. Militärisches Handeln
wird schließlich nicht alleine von der Bundeswehr
geleistet, sondern in der Regel in Zusammenarbeit mit
anderen Partnern im Rahmen der UN, der EU oder der
NATO.
Vor diesem Hintergrund entstehen neue Fragestellungen
und Probleme, die der Antrag, den wir heute debattieren,
aufgreift. Diese Fragestellungen sind auch deshalb
wichtig, weil die Bundeswehr über mehr als vier
Jahrzehnte nicht in Auslandseinsätze eingebunden war
und sich somit viele Fragen bis Mitte der 90er-Jahre einfach
nicht gestellt haben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung
vorausschicken: Jeder militärische Einsatz, der auf den
Schutz der Menschenrechte zielt, verliert in dem Augenblick
dramatisch an Legitimation, in dem die militärisch
Handelnden Mittel und Wege nutzen, die den Menschrechten
zuwiderlaufen. Schon aus dieser Erwägung
heraus ohne auf die zwingende moralische Notwendigkeit
zur Einhaltung der Menschenrechte einzugehen
muss sich das Handeln der internationalen Staatengemeinschaft
und damit eben auch der Bundeswehr an menschenrechtlichen
Standards orientieren. Ich bin der festen
Überzeugung, dass der Bundesverteidigungsminister, die
militärische Führung der Bundeswehr und auch die Soldatinnen
und Soldaten sich dieser Tatsache bewusst sind
und auch in den allermeisten Fällen danach ihr Handeln
ausrichten.
Es ist jedoch nicht zu bestreiten, dass es in der Vergangenheit
vereinzelt zu nicht hinnehmbaren Verletzungen
dieser Prinzipien gekommen ist. Diese müssen aufgeklärt
und die Ursachen hierfür beseitigt werden. Es ist mir allerdings
wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich tats
ächlich um Einzelfälle und nicht um ein Massenphänomen handelt.
Dennoch hat der vorliegende Antrag insofern seine
Berechtigung, als er die Schwerpunkte anspricht, die für
ein an menschenrechtlichen Standards orientiertes Handeln
entscheidend sind: entsprechende Ausbildung, klare
Befehlsstrukturen und ebenso klare Vorgaben für das Verhalten
im Einsatz. Allerdings versucht der Antrag, den
Anschein zu erwecken, diese Punkte seien bisher vernachl
ässigt oder gar nicht beachtet worden. Und diesen
Versuch kann man getrost und mit guten Gründen als gescheitert
ansehen.
Gehen wir die Punkte im Einzelnen durch: Klarheit
über die menschen- und völkerrechtlichen Bindungen und
die Grenzen des zulässigen Vorgehens bei Auslandseins
ätzen zu schaffen, wie es der erste Punkt Ihres Antrags
fordert, ist doch mindestens genauso eine Herausforderung
an den Deutschen Bundestag wie an die Bundesregierung.
Wenn dem nicht so wäre, dann hätten wir als Abgeordnete
im Rahmen der Mandatsverlängerung, aber
auch im Rahmen unserer Mitwirkungsrechte im Wege des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes unsere Arbeit schlecht
gemacht. Diesen Eindruck habe ich aber vor dem Hintergrund
der intensiven, oft kritischen Debatten in diesem
Haus und der noch intensiveren Arbeit in den beteiligten
Ausschüssen nicht.
Sie fordern weiterhin, dass Soldatinnen und Soldaten
bei Auslandseinsätzen nicht durch Befehle Vorgesetzter in
eine Lage gebracht werden sollen, in der sie zu Handlungen
angehalten werden, die völker- und menschenrechtlichen
Standards widersprechen. Diese Forderung ist, so
richtig sie sein mag, doch ein wenig banal. Das Verbot
von Befehlen, die gesetzlichen Bestimmungen zuwiderlaufen,
ist ein alt hergebrachter Grundsatz der Bundeswehr
und gilt im In- wie im Ausland. Das soll nicht hei-
ßen, dass es solche Fälle nicht hin und wieder gibt. Aber
die Regelungen, die solches verbieten, gibt es eben auch.
Ich verweise hier nur auf § 10 Abs. 4 des Soldatengesetzes,
der es deutschen Soldaten verbietet, strafrechtswidrige
Befehle anzunehmen und auszuführen. Konkret heißt
es: Er (der Vorgesetzte) darf Befehle nur zu dienstlichen
Zwecken und nur unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts,
der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen.
Hier wird das Völkerrecht ausdrücklich erwähnt.
Im Übrigen will ich an dieser Stelle betonen und deutlich
machen, dass die Bundeswehr schon seit langer Zeit
ihre Soldatinnen und Soldaten intensiv auf Auslandseins
ätze vorbereitet und dass dabei der Aspekt Einhaltung
von menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Standards eine wichtige Rolle spielt. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das VN-Ausbildungszentrum der
Bundeswehr in Hammelburg verweisen. Da diese Einrichtung
über eine Homepage verfügt, kann man sich im
Internet über die Aktivitäten informieren, die unternommen
werden, um militärisches und ziviles Personal für
Einsätze im Rahmen der UN zu schulen. Dabei kann man
auch feststellen, dass es eine intensive Zusammenarbeit
auch mit Institutionen der Zivilgesellschaft und auch mit
dem Zentrum für internationale Friedenseinsätze gibt. Insofern
werden hier unter anderem genau die Inhalte vermittelt,
die in dem vorliegenden Antrag eingefordert werden.
Darüber hinaus werden die Einsatzkräfte auch mit sogenannten
Taschenkarten ausgestattet, die ihnen in Kurzform
im Einsatzfall als Informationsquelle über die Grenzen
ihres Handelns zur Verfügung stehen.
Für uns als CDU/CSU-Fraktion ist klar, dass wir die
Einsätze der Bundeswehr und das Verhalten der Soldatinnen
und Soldaten immer im Einklang mit den Standards
des Völkerrechts und der Menschenrechte sehen wollen.
Dass dies, besonders bei dem letztem Punkt, den der Antrag
erwähnt, nämlich der Zusammenarbeit mit anderen militärischen Verbänden aus anderen Nationen, manchmal zu schwierigen Situationen geführt hat und vielleicht
auch führen wird, ist klar. Aber auch hier sollten wir uns
davor hüten, Verbündete sozusagen unter Generalverdacht
zu stellen, auch wenn bestimmte Vorfälle in der Vergangenheit
Besorgnis erregt haben.
Die Verantwortung, die Bundeswehr im Rahmen des
Völkerrechts und in Übereinstimmung mit menschenrechtlichen
Standards operieren zu lassen, sehen wir in
gleicher Weise wie die Antragsteller. Der Eindruck, hier
werde zu wenig getan, wird aber von uns nicht geteilt.
Schließlich haben wir als Parlament die Verantwortung,
Ja oder Nein zu sagen zu einem Einsatz. Diese Verantwortung
schließt die Prüfung der Frage mit ein, ob der jeweilige
Einsatz vertretbar ist und im Einklang mit den
oben genannten Grundsätzen steht.
Christoph Strässer (SPD):
Die Bundesrepublik Deutschland ist seit vielen Jahren
Vollmitglied der Vereinten Nationen. Mit dem Beitritt haben
wir die Geltung der Charta anerkannt, und zwar insgesamt
und nicht nur in Teilbereichen. Anerkannt haben
wir damit auch Kapitel VII, wonach bei Bedrohung
oder einem Bruch des Friedens oder einer Angriffshandlung
auch militärische Sanktionsmaßnahmen nach
Art. 42 durchgeführt werten können, wenn andere Maßnahmen nach Art. 41 VN-Charta unzulänglich sind oder sein würden. Unter diesen Obliegenheiten muss auch
Deutschland sich der Verantwortung als Mitglied der
Vereinten Nationen stellen und bei Vorliegen der völkerrechtlichen
Voraussetzungen politisch entscheiden, ob
und in welchem Umfang nach entsprechender Anforderung
die Bundeswehr sich an derartigen friedenssichernden
Maßnahmen der Vereinten Nationen beteiligt. Die
einfache wie populistische Forderung Keine Auslandseins
ätze der Bundeswehr ist insofern verantwortungslos,
die Bundeswehr ist fester Bestandteil internationaler
Bündnissysteme.
Sie übernimmt seit Jahren wichtige internationale Verantwortung
und leistet mit ihren Auslandseinsätzen einen
wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung in Krisenregionen.
Sie unterstützt die Vereinten Nationen bei der Wahrung
der Menschenrechte, bei der Herstellung und
Wahrung der Sicherheit in Krisengebieten und schafft damit
Räume für zivile Organisationen bei der Auslieferung
humanitärer Hilfsgüter und zum zivilen Wiederaufbau.
Dabei finden militärische Einsätze nicht in rechtsfreien
Räumen statt. Im Zentrum jedes Einsatzes muss die Wahrung
der Menschenrechte stehen, wie sie sich aus den
Grundsätzen des humanitären Völkerrechts, aber auch
aus den Wertentscheidungen unseres Grundgesetzes ergeben.
Sicherheitspolitik kann nur dann glaubwürdig
sein, wenn sie bereit und fähig ist, Freiheit und Menschenrechte
auch durchzusetzen und vor allem auch
selbst danach zu handeln.
Deshalb geht die grundsätzliche Stoßrichtung des Antrages
auch unter dem Aspekt einer notwendigen sachlich
und öffentlich geführten Debatte zu diesem Thema in
Ordnung. Wir müssen uns in Zukunft verstärkt die Fragen
stellen: Wie weit reichen die Menschenrechtsverpflichtungen
der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen? Wie werden
die Soldaten informiert und geschult? Wie kann die
Einhaltung der Verpflichtungen kontrolliert werden? Das
sind Fragen, mit denen sich die zuständigen Ressorts und
der Deutsche Bundestag weiter zu beschäftigen haben.
Vor einigen Monaten berichtete das Magazin Der
Spiegel von einem Einsatz der Krisenreaktionkräfte in
Afghanistan. Die Einheit sollte einen Taliban-Kommandeur
dingfest machen, auf dessen Konto eine Reihe von
Sprengfallen ging. Er wurde ausfindig gemacht, die Operation
wochenlang geplant. Kurz vor dem Zugriff wurden
die Pläne entdeckt. Der Verdächtige entkam, obwohl er
hätte getötet werden können. Deutsche Soldaten beteiligen
sich nicht am Targeting dem gezielten Ausschalten
von Feinden. Andere Nationen sehen das anders, was
durchaus zu Reibungspunkten und Zielkonflikten führt.
Die deutschen Soldaten brauchen Klarheit und Rechtssicherheit
für ihr Handeln. Das gilt auch für die Gewahrsamund Festnahme von Personen. Wie lange dürfen diese festgehalten werden, wem dürfen sie übergeben
werden, welche Regeln gelten? Nach einem von Amnesty
International vorgelegten Afghanistan-Report sei zum
Beispiel nicht auszuschließen, dass überstellte Personen
von afghanischer Seite misshandelt würden. Aus diesem
Grunde wird derzeit auch ein Abkommen zwischen
Deutschland und Afghanistan vorbereitet, um sicherzustellen,
dass an staatliche afghanische Behörden zu übergebende
Personen nach den internationalen und vertraglichen
menschenrechtlichen Verpflichtungen behandelt
werden und die Todesstrafe nicht an ihnen vollstreckt
wird. Dies ist zur Herstellung von Rechtssicherheit dringend
erforderlich, sogenannte Diplomatische Zusicherungen
reichen hierfür nach meinem Verständnis nicht
aus.
Die Verpflichtung auf das Grundgesetz war und ist eines
der Gründungsprinzipien der Bundeswehr. Bundeswehrsoldaten
sind wie jeder andere Bürger auch den
Werten des Grundgesetzes verpflichtet auch bei Auslandseins
ätzen. Es gibt keinen begründeten Zweifel daran,
dass die Bundeswehr nicht alles unternimmt, die Einhaltung
des Völkerrechts und der Menschenrechte zu
gewährleisten. Die Ausrichtung ihres Handelns an die
Einhaltung der elementaren Menschenrechte gehört zum
Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten. Gleichzeitig
stellt der Staatsbürger in Uniform den demokratischen
Gegenentwurf zum unkritischen Befehlsempfänger
dar.
Dabei sind zwei Ebenen zu unterscheiden zum einen
die Ebene der dienstrechtlichen Vorgaben, zum anderen
die Ebene des höherrangigen Rechts. Die Soldatinnen
und Soldaten werden im Rahmen ihrer Ausbildung, einsatzlandspezifisch
vor jedem Auslandseinsatz und auch
während des Einsatzes über die Grundlagen des Humanit
ären Völkerrechts und des Internationalen Rechts ausgebildet.
Auf die allgemeinen und besonderen Bestimmungen
beim Festhalten oder Festnehmen von Personen
wird in den sogenannten Taschenkarten, die den Soldatinnen
und Soldaten zur Verfügung gestellt werden, eingegangen.
Die Rechtsgarantien für Personen, die bei
Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Gewahrsam genommen
werden, wurden unter anderem in einem Befehl vom 26. April 2007 im Einzelnen aufgeführt. Doch letztlich stellen die zentralen Dienstvorschriften der Bundeswehr eine untergesetzliche Normbasis ohne Außenwirkung
dar.
Deshalb bleibt weiter zu fragen, inwieweit auf der
Ebene des höherrangigen Rechts Grundrechte aus dem
Grundgesetz oder völkerrechtliche Verpflichtungen wie
die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte
oder der Internationale Pakt über bürgerliche und
politische Rechte mittelbar oder besser unmittelbar Anwendung
finden.
Die Bundesregierung erklärt dazu, bei Einsätzen der
Bundeswehr im Ausland, insbesondere auch im Rahmen
von Friedensmissionen, sichere Deutschland allen Personen,
soweit sie der Herrschaftsgewalt der Bundeswehr
unterstehen, die Gewährung der im Zivilpakt anerkannten
Rechte zu. Diese Erklärung stößt bei großen Teilen
der Nichtregierungsorganisationen zu Recht auf Kritik.
Juristisch spitzfindig verberge sich hinter der Erklärung
nur eine Zusicherung der Paktrechte. Im Umkehrschluss
könne man daraus schließen, dass die völkerrechtlichen
Regelungen eigentlich keine unmittelbare Anwendung
fänden, man sich aber freiwillig bereit erkläre, sie anzuwenden.
Außerdem würden die Rechte nur Personen
zugesichert, die der deutschen Herrschaftsgewalt unterstehen.
Die Bundesregierung vertrete die Auffassung, die
Bundeswehr übe ausschließlich Hoheitsgewalt der Vereinten
Nationen aus, wenn sie im Rahmen eines Mandats
des Sicherheitsrates handele, sodass die Grundrechte, die
EMRK und der Zivilpakt keine Anwendung fänden. Denn
auf Handlungen der Vereinten Nationen finden insbesondere
internationale Menschenrechtsabkommen keine Anwendung,
weil nur Staaten Vertragspartner dieser Übereinkommen
sind. In diesem Fall würde nur das zwingende
Völkerrecht gelten, dessen Schutzstandard unter dem der
Menschenrechtsabkommen liegt. Eine solche Positionierung
halte ich für unzureichend, relativiert sie doch den
Charakter und die Verbindlichkeit der von uns ratifizierten
Übereinkommen.
Gerade in den Rechtswissenschaften finden auch andere
Auslegungen Gehör. Für Einsätze der Bundeswehr
nach Art. 24 Abs. 2 GG, der für internationale Organisationen
wie die Vereinten Nationen gilt, dürfen keine Hoheitsrechte
vollständig übertragen werden. Beim Einsatz
multinationaler Kontingente übertragen die Entsendestaaten
nicht die vollständige Kommandogewalt. Auch
Bundesregierung und Bundestag gehen schließlich davon
aus, dass sie das Recht haben, für Auslandseinsätze der
Bundeswehr nationale Bedingungen und Beschränkungen
vorzusehen. Neben dem Mandat der Vereinten Nationen
existiert also auch ein nationales Mandat. Es gelte
eine Mehrebenenverantwortlichkeit. Aus diesem Grund
bestehe kein Anlass, die Grundrechte des Grundgesetzes
auf extraterritoriale Handlungen der Bundeswehr nicht
anzuwenden. Die Solange-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
und die Bosphorus-Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte lassen
es sogar geboten erscheinen, jeweils zu überprüfen, ob in
materieller Hinsicht ein vergleichbarer Grundrechtsschutz
besteht. Es bleibt zu überprüfen, ob und inwieweit
kontextbezogen Modifikationen des Schutzumfanges zulässig sind. Modifikationen können sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung oder mit Blick auf die
praktische Konkordanz im Widerstreit mit anderen
Grundrechten und Verfassungsgütern ergeben. Doch im
Ergebnis gilt die Verpflichtung der Gewährleistung des
höchstmöglichen Schutzniveaus, und zwar verbindlich
und ausnahmslos.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die unmittelbare Anwendbarkeit
der Europäischen Menschenrechtskonvention
und des Zivilpaktes. Im Fall Saramati hat der EGMR
entschieden, die Menschenrechtskonvention sei nicht anwendbar,
weil nationale Kontingente bei Friedensmissionen
der Vereinten Nationen ausschließlich deren Hoheitsrechte
ausüben wurden. Die Entscheidung wurde zu
Recht mit Verwunderung aufgenommen, da das Gericht
zum einen nicht die Frage aufwarf, ob nationale Kontingente
parallel auch nationale Hoheitsgewalt ausüben,
zum anderen weil der Gerichtshof von seiner eigenen
Rechtsprechung abwich, wonach es bei der Anwendung
der Menschenrechtskonvention bleibt, wenn ansonsten
kein gleichwertiger Menschenrechtsschutz gewährleistet
wäre. Aus der Intension der Konvention heraus dürfe kein
schutzloser menschenrechtsfreier Raum geduldet werden.
Die aktuelle Debatte in der Zivilgesellschaft und
Fachöffentlichkeit zeigt, dass noch nicht auf alle Fragen
und Herausforderungen die abschließenden Antworten
gefunden wurden, weder von juristischer Seite, was auch
auf sich widersprechende Urteile der nationalen und internationalen
Gerichte zurückzuführen ist, noch von
politischer Seite. Richtig ist es, auf konkrete Fragen im
Rahmen jeden Einsatzes auch pragmatische Antworten
zu suchen, wie die Verhandlungen mit der afghanischen
Regierung über ein Abkommen zur Überstellung festgenommener
Personen. In der Fachöffentlichkeit ist in der
Diskussion den verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten
bei vorübergehend festgehaltenen Personen und der gegebenenfalls
gebotenen Richtervorführung mit einer Zuordnung
von Richtern im Einsatzgebiet oder der Möglichkeit
der Videokonferenz zu begegnen. Gleichzeitig gilt es
aber auch, quasi auf der Metaebene die menschen- und
völkerrechtlichen Rahmenbedingungen weiter zu konkretisieren.
Dazu gehören sicherlich auch die Überlegungen
einer expliziten Verankerung der Menschenrechte in den
Mandaten der Vereinten Nationen und des Bundestages,
ein Weg, den ich vom Ansatz her nachdrücklich befürworte.
Grundsätzlich bin ich auch der Auffassung: je konkreter
die Mandatierung erfolgt, je mehr Wert auf den zivilen
Wiederaufbau, auf Nation Building und Capacity
Building gelegt wird, je konkreter die Menschenrechte
Verankerung finden, desto besser.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch abschlie-
ßend darauf hinweisen, dass der Ausschuss für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe anlässlich des 60. Jahrestages
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
plant, im Dezember eine Anhörung zum Thema Menschenrechte
und extraterritoriale Staatenpflichten
durchzuführen. Das Thema bleibt also auf der politischen
Agenda, ich freue mich auf eine sachgerechte und angemessene
Debatte in den Ausschüssen. Alle Beteiligten,
insbesondere auch die Soldatinnen und Soldaten, die in
solchen Einsätzen viel riskieren müssen, haben Anspruch auf Klarheit und Rechtssicherheit. Den kann nur die Politik schaffen.
Florian Toncar (FDP):
Der vorliegende Antrag lenkt die Aufmerksamkeit auf
die Frage, welche völker- und menschenrechtlichen
Grundsätze die Soldaten der Bundeswehr bei Auslandseins
ätzen binden. Damit soll sichergestellt werden, dass
die Soldaten die Menschenrechte der Bevölkerung im
Einsatzland achten. Zudem soll die Truppe klare Handlungsanweisungen
erhalten, um zu verhindern, dass die
Soldaten möglicherweise an Aktionen beteiligt werden,
die ihr Mandat überschreiten und für die sie später zur
Rechenschaft gezogen werden. Die Sicherstellung beider
Ziele ist unerlässlich, um die Unterstützung der Bevölkerungen
für die Präsenz der Bundeswehr in Einsatzgebieten
zu bewahren und so zur Sicherheit der Soldaten beizutragen.
Auch wenn der vorliegende Antrag sich mit einer
wichtigen Thematik befasst, wählen die Grünen leider einen
Zungenschlag, der dem engagierten Verhalten der
deutschen Soldaten nicht gerecht wird. Der Antrag impliziert
ein breites Fehlverhalten der Bundeswehr bei
Auslandseinsätzen. Die Formulierungen erwecken den
Eindruck, als ob die Soldaten ohne menschen- und völkerrechtliche
Bindungen bei Auslandseinsätzen vorgehen
würden. Ferner unterstellen sie, dass bei Auslandseinsätzen
grund- und menschenrechtliche Verpflichtungen nicht
eingehalten werden und Soldaten möglicherweise zu
Handlungen angeleitet werden, für die sie später strafrechtlich
belangt werden können. Diese Prämissen treffen
nicht zu. Richtig ist jedoch, dass der Dienstherr in einigen
Fällen in seiner Befehlslage Unklarheit für die Soldaten
geschaffen hat, die behoben werden müssen.
Zur Rechtslage ist zu sagen, dass die Soldaten der
Bundeswehr wie alle anderen deutschen Bürger an das
deutsche Grundgesetz gebunden sind, in dem es in Art. 1
Abs. 1 GG heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Bedeutsam ist auch, dass die Bundeswehr als Teil der deutschen öffentlichen Gewalt bei Handlungen im
Ausland nicht nur den Verpflichtungen der völkerrechtlich
normierten Menschenrechte unterliegt, sondern auch
in die durch Art. 1 Abs. 3 GG normierte Bindung an die
deutschen Grundrechte einbezogen ist.
Die Antragssteller führen am Anfang des Begründungsteils
treffend aus: Auslandseinsätze der Bundeswehr
sind zwingend an das Völkerrecht und die Menschenrechte
gebunden. Seit ihrer Gründung gilt für die
Soldaten der Bundeswehr, dass Befehlen, die das humanit
äre Völkerrecht verletzen, nicht Folge zu leisten ist.
Dabei ist weder die Erteilung solcher Befehle noch ihre
Ausführung erlaubt.
Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, dass das
Verhalten der deutschen Soldaten bei Auslandseinsätzen
den grund- und völkerrechtlichen Verpflichtungen gerecht
wird. Vereinzelte Fälle von individuellem Fehlverhalten
sind konsequent geahndet worden.
In der Befehlslage hat das Bundesministerium der Verteidigung
jedoch nicht immer die notwendige Sorgfalt
walten lassen. Dazu möchte ich Ihnen ein Beispiel geben:
Das Bundesverteidigungsministerium stellt den Soldaten
wichtige Informationen oder Merksätze in Form von sogenannten
Taschenkarten zur Verfügung. Dies sind kompakte
Faltblättchen, welche die Soldaten griffbereit bei
sich tragen sollen. In der 2006-er Ausgabe der Taschenkarte
mit dem Titel Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten
Konflikten wurde die Anweisung, dass die Soldaten
der Bundeswehr die Regeln des humanitären
Völkerrechts zu beachten haben, durch den Zusatz soweit
praktisch möglich eingeschränkt. Solche Fehler
dürfen nicht vorkommen. Das Verteidigungsministerium
ersetzte diese Textfassung im Juni 2008 durch eine Formulierung,
die die vorbehaltlose Geltung des humanitären Völkerrechts wieder festschreibt.
Der Antrag der Grünen geht auch auf die Behandlung
von festgenommenen Personen durch die Bundeswehr
ein. Das Bundesministerium der Verteidigung hat letztmalig
durch den Befehl vom 26. April 2007 die Behandlung
von Gefangenen durch die Bundeswehr geregelt.
Mit diesem Befehl reagierte die Bundesregierung auf einen
Antrag der FDP-Bundestagsfraktion auf Drucksache
16/2096 vom 30. Juni 2006. Es waren die Liberalen,
die sich bereits vor über zwei Jahren mit diesem Themenkomplex
befasst haben. Insofern hinken die Grünen der
Debatte deutlich hinterher. Der Befehl des Ministeriums
legt die menschenrechtskonforme Behandlung von Gefangenen
fest. Da die Bundeswehr in Afghanistan keine
Gefängnisse betreibt, werden Gefangene bisher an die
örtlichen Behörden überstellt. Der angesprochene Befehl
legt dazu fest: Die Übergabe der in Gewahrsam genommenen
Personen an Sicherheitskräfte aus Drittstaaten ist
untersagt, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die
Beachtung menschenrechtlicher Mindeststandards nicht
gewährleistet ist. Auch wenn der angesprochene Befehl
einen Fortschritt bedeutet, besteht ein Defizit fort. So verlässt sich die Bundesregierung bei Überstellungen von Gefangenen weiterhin auf diplomatische Versicherungen des Empfängerstaates, anstatt sich durch regelmäßige,
unangekündigte Kontrollbesuche ein eigenes Bild über
die Haftbedingungen von überstellten Gefangenen zu machen.
Also besteht hier noch Verbesserungsbedarf. Auf
dieses Defizit zielt der vorliegende Antrag der Grünen jedoch
leider nicht ab.
In der Summe erweckt der Antrag der Grünen den Eindruck,
dass die Einsätze der Bundeswehr nicht in einem
klaren menschen- und völkerrechtlichen Rahmen stattf
änden. Ferner seien die Soldaten der Gefahr ausgesetzt,
zu Handlungen herangezogen zu werden, für die sie spä-
ter strafrechtlich belangt werden könnten. Diese von den
Antragsstellern vermutete rechtswidrige Praxis existiert
so nicht. Daher zielt der Kern des Antrags ins Leere.
Dennoch muss das Bundesministerium der Verteidigung
weitere Verbesserungen in der konkreten Befehlslage
vornehmen. Dies gilt insbesondere für die Sicherstellung
der rechtsstaatlichen Behandlung von Gefangenen nach
Überstellungen durch deutsche Stellen im Ausland. Die
FDP hat auf diese Lücke bereits vor zwei Jahren aufmerksam
gemacht.
Der in dem Antrag enthaltene Zungenschlag ist ein
sprachlicher Duktus, der dem pflichtbewussten und engagierten
Einsatz unserer Soldaten nicht gerecht wird. Daher
lehnen wir diesen Antrag der Grünen ab.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
In ihrem Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen menschen- und völkerrechtliche Standards für
die Einsatzregeln der Bundeswehrsoldaten in Auslandseins
ätzen. Diese müssen aber nicht nur mit dem Menschen-
und Völkerrecht, sondern auch mit dem Grundgesetz
vereinbar sein. Ebenfalls soll die Bundesregierung
sich verpflichten, ihre Soldatinnen und Soldaten vor Eins
ätzen, die mit den Menschen- und Völkerrechten sowie
mit dem Grundgesetz nicht kompatibel sind, zu bewahren.
Das findet in vielen Punkten unsere Zustimmung. Allerdings
gibt es einen zentralen Punkt, der unserer Auffassung
nach fehlt: die generelle Vereinbarkeit von Auslandseins
ätzen mit dem Völkerrecht. So fordert Die Linke
seit langem, dass Auslandseinsätze nur dann gestattet
werden, wenn sie völkerrechtskonform sind. Leider war
und ist dies bis dato nicht immer der Fall. Sie erinnern
sich nicht gerne daran: Aber die Bombardierung Jugoslawiens
war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht.
Der damalige Außenminister Fischer hat seinerzeit mit
dem untauglichen Argument der sogenannten humanitä-
ren Intervention versucht, den Überfall völkerrechtlich zu
rechtfertigen. Es lag jedoch weder ein Fall der Selbstverteidigung
noch ein Mandat des UN-Sicherheitsrats vor.
Das war eine dreiste Verletzung des Völkerrechts. Die
NATO hat Soldatinnen und Soldaten in einen völkerrechtswidrigen
Krieg geschickt, in dem zudem zahlreiche
Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung begangen
wurden.
Aber auch der gegenwärtige Einsatz im Rahmen des
Antiterrorkampfes der OEF in Afghanistan ist völkerrechtlich
nicht gedeckt. Auch wenn man mit Art. 51 der
UN-Charta argumentiert nach sieben Jahre Besatzung
in Afghanistan ist der Verteidigungsfall längst hinfällig
geworden.
Und selbst die indirekte Beteiligung der Bundeswehr
am Irakkrieg ist völkerrechtlich nicht gedeckt. Das Bundesverwaltungsgericht
hat im Fall Pfaff eindeutig bestätigt, dass die Unterstützungsleistung gegen das Völkerrecht verstieß. Das BVerwG sagt in seinen Leitsätzen sehr
deutlich, ich zitiere:
6.
Für den Krieg konnten sich die Regierungen
der USA und des UK weder auf sie ermächtigende
Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates noch auf das in
Art. 51 UN-Charta gewährleistete Selbstverteidigungsrecht
stützen.
7. Weder der NATO-Vertrag, das NATO-Truppenstatut,
das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut
noch der Aufenthaltsvertrag sehen eine Verpflichtung
der Bundesrepublik Deutschland vor,
entgegen der UN-Charta und dem geltenden Völkerrecht
völkerrechtswidrige Handlungen von
NATO-Partnern zu unterstützen.
Wenn ein Auslandseinsatz der Bundeswehr völkerrechtskonform
ist, so müssen es auch die Regeln für die
Soldatinnen und Soldaten sein. So wird in dem Antrag
richtig festgestellt, dass es der Bundesregierung bisher
nicht gelungen ist, die menschen- und völkerrechtlichen
Grenzen und Bindungen bei Auslandseinsätzen klar zu
definieren und erlaubtes von unerlaubtem Handeln deutlich
abzugrenzen. Die Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr sind zwar mit einer sogenannten Taschenkarte
ausgestattet, aber diese lässt genug Spielräume, das
humanitäre Völkerrecht zu brechen. Deutsche Soldatinnen
und Soldaten laufen deshalb permanent Gefahr, das
humanitäre Völkerrecht zu brechen: bei Gefangennahmen
und bei der Behandlung von Gefangenen, mit der
Auslieferung von Gefangenen an Dritte und mit den Aufklärungsflügen. Die Kriegsführung der USA in Afghanistan
hat schon seit langem und in unerträglichem Maße
die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzt. Und je
tiefer sich die Bundeswehr in diesen Krieg hineinziehen
lässt, umso stärker läuft sie Gefahr, sich in die gleiche
völkerrechtswidrige Kampfführung zu verstricken.
Nach dem humanitären Völkerrecht sollte bei jedem
Einsatz der Schutz der Zivilbevölkerung oberstes Gebot
sein. Dies ist oft nicht der Fall, wie wir in Afghanistan fast
täglich sehen. Bundesregierung und NATO sprechen von
Kollateralschäden, wenn sie Tote in der Zivilbevölkerung,
die Zerstörung von Krankenhäusern und wichtiger
Infrastruktur meinen. Dies ist nicht nur eine zynische Verharmlosung,
sondern auch eine Verschleierung der Tatsache,
dass diese Kampfeinsätze sich außerhalb des Völkerrechts
bewegen.
Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verfehlt
zwar unserer Meinung nach das Kernproblem von
Auslandseinsätzen und sogenannten Friedensmissionen.
Dennoch ist es schon ein Fortschritt, dass er sich mit den
Einsatzregeln für Soldatinnen und Soldaten auseinandersetzt
und die Bundesregierung auffordert, hier Klarheit zu
schaffen. Dies verlangt der vorliegende Antrag, und er
findet deshalb unsere Zustimmung.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es ist schon bemerkenswert, dass wir die Bundesregierung
auffordern müssen, endlich Klarheit über die menschen-
und völkerrechtlichen Bindungen bei Auslandseins
ätzen der Bundeswehr zu schaffen. Auslandseinsätze
der Bundeswehr auch schwierige und gefahrvolle finden
ja schon seit einigen Jahren statt. Erst in den vergangenen
Woche haben wir die Verlängerung der deutschen
Beteiligung an den UN-Einsätzen im Sudan und vor der
libanesischen Küste beschlossen. Die Beratung über die
Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan
steht im kommenden Monat an.
Umso beachtlicher ist es, dass es weiterhin keine Klarheit
über den rechtlichen Rahmen dieser Einsätze gibt.
Dies stellt nicht nur der Bundesregierung ein Armutszeugnis
aus, sondern auch die beteiligten Soldaten vor
große Probleme.
Nach Art. 1 des Grundgesetzes binden die Grundrechte
die vollziehende Gewalt, also auch die Streitkräfte,
und zwar auch, soweit die Wirkungen ihrer Betätigung im
Ausland eintreten. Einen territorialen Vorbehalt kennt
das Grundgesetz nicht. Diese Feststellung ist auch in einem anderen aktuellen Kontext von Bedeutung: Bei Einsätzen außerhalb des deutschen Staatsgebiets, beispielsweise auf Hoher See im Rahmen von FRONTEX zur
Abwehr unerwünschter Zuwanderung.
Im Hinblick auf den Einsatz der Bundeswehr im Ausland
geht es um ganz konkrete Sachverhalte von großer
praktischer Relevanz: Dürfen Personen festgenommen
und festgehalten werden? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage
und für welche Dauer? Wie steht es mit dem
Gesetzesvorbehalt und dem Richtervorbehalt? Dürfen
Festgenommene an andere Institutionen überstellt werden?
Insbesondere letztere Frage stellt sich aktuell in Afghanistan,
wenn Personen an den afghanischen Geheimdienst
überstellt werden. Wie will die Bundesregierung
sicherstellen, dass sie nicht gefoltert werden, ein faires
Gerichtsverfahren erhalten und nicht zum Tode verurteilt
und hingerichtet werden? Denn eines muss unmissverst
ändlich klar sein: Jegliche deutsche Unterstützungsleistungen auch unterhalb der direkten Übergabe selbst ergriffener Verdächtiger begründen im Falle von
Verstößen gegen die Menschenrechte eine Mitverantwortung.
Deutsche staatliche Gewalt darf keine Beihilfe zur
Folter oder unrechtmäßiger Inhaftierung leisten!
Der Untersuchungsausschuss zu Murat Kurnaz und
dem Einsatz der KSK in Afghanistan im Jahre 2002 hat in
der vergangenen Woche seine abschließende Sitzung abgehalten.
Sein Bericht wird uns hier im Hause noch beschäftigen. Schon jetzt lässt sich aber sagen: Der Ausschuss hat die Erkenntnis zu Tage gefördert, dass die
Sondereinsatzkräfte damals nach Afghanistan beordert
wurden, ohne dass diese Fragen auch nur ansatzweise
geklärt waren. Das hat zu den bekannten Problemen gef
ührt, unter anderem dem fragwürdigen Einsatz deutscher
Soldaten bei der Bewachung von Personen, die im
US-Gefangenenlager in Kandahar interniert wurden, bevor
sie widerrechtlich nach Guantanamo verschleppt
wurden.
Erst im Jahre 2007 wurden durch einen Befehl des Verteidigungsministeriums
grundlegende Handlungsanweisungen an die Soldaten gegeben: Festgenommene sind
menschlich zu behandeln, müssen versorgt und dürfen
nicht gefoltert werden.
So begrüßenswert wie selbstverständlich diese Anweisungen
sind, fällt doch auf, dass sie jegliche Bezugnahme
auf die Grundrechte des Grundgesetzes, die Europäische
Menschenrechtskonvention (EMRK) oder Normen des
humanitären Völkerrechts vermeiden. Dadurch wird die
Unsicherheft darüber, welchem Rechtsregime das Handeln
unterliegt, eher noch vergrößert. Gelten die Grundrechte
des Grundgesetzes? Gelten die internationalen
Abkommen zum Schutz der Menschenrechte? Unterliegt
der Einsatz den Regeln des humanitären Völkerrechts?
Der sogenannte bewaffnete Kampf gegen Straftäter,
wie der Einsatz von der Bundesregierung bezeichnet
wird, findet mangels Festlegung in einer rechtlichen
Grauzone statt. Das Konstrukt der Strafverfolgung mit
militärischen Mitteln führt dazu, die rechtlichen Grundlagen
des Einsatzes zu vernebeln und sich von rechtlichen
Bindungen zu lösen.
Der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für
Menschenrechtsfragen im Bundesministerium der Justiz.
Stoltenberg, hat jüngst in einer juristischen Fachzeitschrift
erneut den Finger in die Wunde gelegt und gefordert,
die Bundesregierung solle unmissverständlich zum
Ausdruck bringen, dass sie bei Auslandseinsätzen der
Bundeswehr die grundsätzliche Geltung der Grundrechte
des Grundgesetzes sowie die Anwendbarkeit der Europ
äischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und des
UN-Zivilpakts anerkennt.
Denn die Grundrechte des Grundgesetzes finden auch
dann Anwendung, wenn Handlungen der deutschen öffentlichen
Gewalt außerhalb des deutschen Staatsgebietes
stattfinden. Allein aus der Eingliederung in eine internationale
Organisation oder aus der Zusammenarbeit mit
Sicherheitskräften anderer Staaten folgt keine Veränderung
des grundrechtlichen Prüfungsmaßstabs. Auch für
die Ausübung von deutscher Hoheitsgewalt im Ausland
gibt es keine grundrechtsfreien Räume.
Nicht nur der Deutsche Bundestag braucht Klarheit
über den Umfang und die rechtlichen Grenzen eines von
ihm zu verantwortenden Auslandseinsatzes. Insbesondere
die beteiligten Soldatinnen und Soldaten benötigen
Rechtssicherheit. Sie dürfen nicht in rechtlichen Grauzonen
operieren, und sie dürfen nicht im Unklaren gelassen
werden, ob ihr Vorgehen rechtlich zulässig ist oder einen
Rechtsverstoß darstellt.
Gert Winkelmeier (fraktionslos):
Als ich den vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen durchgelesen hatte, war ich versucht, wie die
Götter in der Odyssee in homerisches Gelächter auszubrechen.
Ich möchte kreativ zitieren:
Jetzo standen die Götter, die Geber des Guten, im
Vorsaal; und ein langes Gelächter erscholl bei den
seligen Göttern, als sie die Künste sahn des klugen
Erfinders Volker Beck.
Ich habe mir das Lachen allerdings verkniffen, denn
dazu ist das Thema viel zu ernst. Schon der erste Satz des
Antragsbegehrens hat es in sich. Da ist von der völkerrechtlich
korrekten Mandatierung von Auslandseinsätzen
die Rede, als ob das bisher alles völlig in Ordnung gewesen
wäre: vom gegen die Charta der UNO verabschiedeten
Vorratsbeschluss am 16. Oktober 1998 zum Luftkrieg gegen
Jugoslawien bis zur Beteiligung der Bundeswehr an
der Operation Enduring Freedom. Demnächst, im November,
werden wir wieder erleben, dass alle Befürworter
und auch die möglichen grünen Gegner einer OEF-Mandatsverl
ängerung wahrheitswidrig Stein und Bein behaupten,
die Resolutionen 1368 und 1373 ließen die Anwendung
militärischer Gewalt zu. Ich sage hier jetzt
schon einmal an die Adresse der Bundesregierung: Legen
Sie dem Deutschen Bundestag nicht zum x-ten Mal einen
Antrag vor, der sich auf eine nicht existierende Rechtsgrundlage
beruft!
Zurück zum heutigen Antrag. Es ist einfach unglaublich,
mit welcher Chuzpe Sie, die Grünen, hier argumentieren.
Jahrelang haben Sie sich ohne Widerstand von Ihrem informellen Anführer an der Nase der humanitären Intervention so der vorwurfsvolle Bundestags-Originalton
Fischer an die Regierung des Bundeskanzlers
Kohl im Jahre 1995 in Kriege führen lassen, um die Regierungsbeteiligung
nicht aufs Spiel zu setzen. Und nun entdecken Sie Mängel bei der Einhaltung der Standards des humanitären Kriegsvölkerrechts, die Sie längst hätten
abstellen können. Denn Sie trugen doch länger Regierungsverantwortung
als die jetzige Koalition. Unter Ihrer
aktiven Mitwirkung hat doch der Kriegskurs dieses Landes
begonnen. Sie haben doch den Nachkriegskonsens
Deutschlands aufgekündigt, dass von deutschem Boden
nie wieder Krieg ausgehen sollte, weil Herr Fischer sonst
nicht hätte Außenminister werden können. Allein aus diesem
Grunde haben Sie den Bürgerkrieg im Kosovo zum
Genozid umgelogen und die Basis dafür gelegt, dass
Art. 26 des Grundgesetzes, das Verbot des Angriffskrieges,
droht, zur Worthülse zu verkommen.
Damit jetzt keine Missverständnisse aufkommen: Das
Anliegen des Antrags unterstütze ich. Selbstverständlich
dürfen unsere Soldaten nicht in rechtlichen Grauzonen
allein gelassen werden. Und selbstverständlich haben
Regierung und Bundeswehrführung alles zu tun, um ein
völkerrechtlich einwandfreies Verhalten sicherzustellen.
Da gibt es in der Tat Mängel, die abgestellt werden
müssen. Das gebietet schon allein die Pflicht zur Fürsorge.
Aber das ist doch der entscheidende Punkt: Diese
Fürsorge fängt hier im Deutschen Bundestag an. Hier
wird über die Auslandseinsätze der Bundeswehr entschieden.
Und dies darf nur auf einer glasklaren Rechtsgrundlage
erfolgen. Das ist jenseits der politischen Beurteilung
des Einzelfalls über die Parteigrenzen hinweg unser aller
Verantwortung und Verfassungspflicht. Beidem ist die
Mehrheit hier im Parlament seit 1998 nur in Einzelfällen
gerecht geworden. Das kann natürlich auch nicht gelingen,
wenn die eigentlichen Gründe für einen militärischen
Einsatz nicht benannt und stattdessen Vorwände
konstruiert werden. Die erste Lüge gebiert dann automatisch
die nächste.
Die Fraktion der Antragsteller hat 1998 mehrheitlich
entschieden, dass sich die Piloten der ECR-Tornados an
Operationen beteiligen, die nach den für deutsches Handeln
geltenden Normen nicht zulässig waren. Nun fordern
sie, dass dies künftig nicht mehr der Fall sein dürfe; und
begründen Ihren Antrag mit der völlig richtigen Aussage:
Auslandseinsätze der Bundeswehr sind zwingend an das
Völkerrecht ... gebunden. Das will ich gerne als Ausdruck
eines Lernprozesses in der Opposition werten, und
ich hoffe, dass ich Sie bei künftigen Entscheidungen nicht
mehr daran erinnern muss.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8402 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Quelle: Stenografischer Bericht der 179. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. September 2008 (Plenarprotokoll 16/179), S. 19151-19158
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