Broders Kampf gegen den Untergang des Abendlandes
Von Knut Mellenthin *
Der Journalist Henryk Broder hat ein Buch "von der Lust am Einknicken"
geschrieben. Gemeint ist die Selbstaufgabe Europas vor den moslemischen
Horden - die von den europäischen Polit-Eliten und Medien bereitwillig
hingenommene, ja sogar feige vorangetriebene Islamisierung Europas. Es geht
also um ein Phantom, das wenig mit der Wirklichkeit und viel mit einer
besonders böswilligen Form der Kriegspropaganda zu tun hat.
Das Thema ist nicht wirklich neu und schon gar nicht originell. Die
britische Historikerin Gisèle Littman, bekannter unter ihrem Künstlernamen
Bat Ye'or, hat seit 2004 in einer Fülle gleichförmiger Artikel und einem
Buch (1) beschrieben, "how Europe became Eurabia", wie Europa zu Eurabia
wurde. Man beachte die Vergangenheitsform: Der Prozess ist bereits
abgeschlossen. Behauptet zumindest die Autorin, die darüber hinaus meint,
der gegenwärtige Verrat der europäischen Eliten sei sehr viel schlimmer als
das britisch-französische Einknicken vor Hitler in München 1938 (2).
Artikelüberschriften wie "How Europe Died" (3), "While Europe Slept" (4),
"Europe's Suicide?" (5), "The Slow Death of Europe" (6), "Eurabia is no
Fairytale" (7), "The Rapid Islamization of Europe" (8), "Eurabian
Nightmares" (9)"Goodbye Europe, Hello Eurabia" (10)"The Muslim Brotherhood's
Conquest of Europe" (11), "Why Al-Qaeda Will Dominate the European Union"
(12) und "France: The Republic of Paristan" (13) - solche
Artikelüberschriften erinnern mich an die reißerischen Titel antisemitischer
Broschüren der 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Und die Liste
dieser Headlines, die oft so klingen, als kämen sie direkt aus einem
Irrenhaus oder von einem Besäufnis pubertierender Jugendlicher mit einem
ziemlich schrägen Humor, ließe sich noch lange fortsetzen. Jeden Moment
erwarte ich die Parole "Die Moslems sind unser Unglück" (14) und den
Kampfruf "Europa erwache!"
Denn dass Europa endlich erwachen und sich dem von den USA und Israel
angeführten neuen Kreuzzug gegen die islamische Welt anschließen möge, das
erhoffen sie sich alle als Ergebnis ihrer Klagen und Alarmrufe. Keiner von
ihnen macht daraus ein Geheimnis. Letztlich auch Broder nicht, selbst wenn
er seine Bekenntnisse zur Notwendigkeit des Straflagers Guantanamo, zu den
segensreichen Folgen des Irakkrieges und zur Berechtigung des Einsatzes von
Atomwaffen gegen den Iran etwas verdruckst und hintenherum vorträgt, als
schäme er sich doch noch ein ganz klein bisschen über sich selbst. Broder
leistet seinen Beitrag zum antiislamischen Kreuzzug vorzugsweise, indem er
dessen Kritiker mit Schmutz bewirft, ohne selbst mit allerletzter Klarheit
Farbe zu bekennen, worauf er eigentlich konkret hinaus will. Statt direkt
für den von den Neokonservativen ausgerufenen "Weltkrieg" zu werben, lästert
Broder lieber, dass sich Bin Laden über jede Antikriegsdemonstration freue.
(S. 137) Und die Schlussfolgerung, bitte?
Broder schreibt zu Guantanamo: "Die Vorstellung, ein Unschuldiger könnte
jahrelang festgehalten werden, ist ein Albtraum. Andererseits übersteigt die
Idee, man könnte dem Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, die
Grenzen zum Irrealen. Es ist, als ob man die Feuerwehr auffordern würde,
sich bei ihren Einsätzen an die Straßenverkehrsordnung zu halten und auf
keinen Fall eine rote Ampel zu überfahren. (...) Gegenüber Terroristen ,fair'
zu sein, auf verdeckte Ermittlungen zu verzichten und im Verfahren alle
Quellen offen zu legen, käme einem Verzicht auf eine Verfolgung gleich." (S.
124) - Die Rede ist, wohlgemerkt, von Guantanamo, dessen Gefangene überhaupt
nie mit gerichtlich nachprüfbaren Vorwürfen und irgendeiner noch so
unperfekten Form von Verfahren konfrontiert werden. Weiß Broder das nicht,
oder verdrängt er es einfach nur? Und woher bezieht er seine Gewissheit,
dass die US-Regierung mit ihrem "Krieg gegen den Terrorismus" Feuerwehr
ist - und nicht etwa Brandstifter?
Den sachlich zutreffenden Hinweis, dass der "Krieg gegen den Terror" jetzt
schon um ein Vielfaches mehr Menschenleben gekostet hat als der Terror
selbst, kontert Broder mit dem Gegenargument: "Solche Fragen sind nicht
zynisch, sie sind dumm. Denn in dieser Rechnung sind die irakischen Opfer
des Saddam-Regimes nicht enthalten, hunderttausende von Menschen, die
verfolgt, gefoltert und getötet wurden." (S. 134) - Mit runden Zahlen ist
Broder sehr flott, Quellen nennt er meist nicht, wie auch in diesem Fall.
Wie auch immer: Über den tyrannischen Charakter des Saddam-Regimes muss und
kann nicht gestritten werden. Tatsache ist aber, dass sich unter der
US-Besatzung eine Situation entwickelt hat, die von einer großen Mehrheit
der Iraker als noch erheblich schlimmer als die früheren Zustände empfunden
wird. Einem Bericht des UNO-Hochkommissars für Flüchtlinge zufolge haben
seit Kriegsbeginn (März 2003) mehr als 1,6 Millionen Iraker das Land
verlassen. Laut New York Times vom 8. Dezember 2006 beträgt die
Auswanderungsrate im Tagesdurchschnitt 3.000 Menschen, ein Vielfaches mehr
als zur Zeit Saddam Husseins.
Grundsätzlich ist die Idee, man dürfe und müsse moslemische Länder
überfallen, um deren Bevölkerung zwangsweise zu "befreien", pervers und
menschenfeindlich. Im Fall Iraks kommt hinzu, dass der Angriff ausgerechnet
einen Staat traf, in dem islamische Fundamentalisten denkbar wenig zu sagen
hatten - und ganz sicher weitaus weniger als derzeit.
Zur "Option" eines amerikanisch-israelischen Atomschlags gegen Iran schreibt
Broder: "Das Berliner Büro der ,Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte
für die Verhütung des Atomkrieges' hat ein Papier veröffentlicht, in dem die
Folgen eines amerikanischen Atomschlags gegen den Iran beschrieben werden:
Mehr als zwei Millionen Menschen würden in den ersten 48 Stunden sterben,
eine Million würde schwere Verletzungen erleiden. Zehn Millionen würden
verstrahlt. Nur eine Frage wurde in dem Papier weder gestellt noch
beantwortet: Was wären die Folgeschäden eines iranischen Atomschlages?" (S.
158)
Was versucht uns der Dichter damit zu sagen? Dass ein Atomschlag gegen den
Iran immer noch vergleichsweise das geringere Übel, also "sittlich geboten"
ist, wie es der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht
1976 bezüglich der Anwendung der Folter formuliert hatte? Oder was sonst?
Der Autor verrät es uns nicht, und er möchte es sich offenbar selbst auch
gar nicht so genau eingestehen. Denn sonst bekäme er vielleicht doch beim
Blick in den Spiegel, beispielsweise während des Rasierens, ernsthafte
Probleme.
Wohlverstanden: Die Rede ist von iranischen Atomwaffen, die selbst in den
kühnsten Phantasien neokonservativer Kriegshetzer zumindest derzeit gar
nicht existieren und die es nach offiziellen amerikanischen und israelischen
Schätzungen auch in den nächsten Jahren nicht geben wird. Die Behauptung,
Teheran strebe die Entwicklung solcher Waffen aber immerhin an, obwohl es
stets das genaue Gegenteil behauptet, ist reine Glaubenssache. Es gibt dafür
nicht die geringsten Beweise. Verglichen damit waren die seinerzeitigen
kriegsbegründenden Erzählungen über Saddam Husseins
Massenvernichtungswaffen, die später nie gefunden wurden, geradezu
grundsolide und hochwissenschaftlich.
Daniel Bax diagnostiziert Broders "psychische Störung" als Hysterie. (15).
Mir scheint diese Deutung zwar nicht absolut ausgeschlossen, aber doch
unwahrscheinlich. Broder wirkt auf mich in keinem einzigen Moment seines
Buches wie jemand, der ernsthaft an das glaubt, was er schreibt. Ich denke,
er spielt den Hysteriker lediglich, um dem Zweck zu dienen, den er für den
guten hält: literweise Benzin ins entfachte Feuer des "Clash of
Civilizations" zu kippen.
Ich will diesen Verdacht auch begründen: Henryk Broder und ich sind derselbe
Jahrgang (1946), er knapp zwei Monate jünger als ich. Wir haben also die
selben Abschnitte deutscher Nachkriegsgeschichte im selben Alter erlebt.
Anfang der 70er Jahre, als ich der Redaktion einer linken Zeitschrift
angehörte, hat Henryk Broder, der damals ehrenvolle Fehden mit deutschen
Rechten und "Ewiggestrigen" austrug, punktuell mit uns zusammengearbeitet.
Ich will damit sagen: Henryk Broder weiß, wovon die Rede ist. Er kennt den
gesamten rechten und rechtsextremen Diskurs. Und er merkt vermutlich auch
heute noch ganz genau, wenn er sich aus dem Dreck bedient, gegen den er in
früheren Jahren angekämpft hat. Wie fühlt man sich denn als Rechtspopulist,
der verzweifelt so tut, als wäre er ein geistig minderbemittelter
Leserbriefschreiber der BILD-Zeitung? Also kein intellektuell begabter
Journalist von 60 Jahren mit einem großen Erfahrungshintergrund, sondern
bloß ein ganz armes Würstchen, das außer einem Sack von blödsinnigen
Ressentiments nicht viel vorzuweisen hat?
Ein konkretes Beispiel. Broder schreibt, gleich zu Beginn seines Buches, es
gehe "um 1,5 Milliarden Moslems in aller Welt, die chronisch zum
Beleidigtsein und unvorhersehbaren Reaktionen neigen" (S. 13).
"Unvorhersehbare Reaktionen" meint im Kontext, da ist gar kein Zweifel
möglich, alle Arten von Gewalttätigkeit, bis hin zum Terrorismus. (16) - 1,5
Milliarden Individuen, von denen Broder doch höchstens einen Bruchteil
persönlich kennt. 1,5 Milliarden Individuen, denen Broder exakt die selben
Eigenschaften zuschreibt. Menschen völlig unterschiedlicher Kulturen,
zwischen denen es riesige Unterschiede auch in religiöser Hinsicht gibt.
Welcher Mensch, und wäre sein IQ noch so niedrig, kann ernsthaft einen
solchen Quatsch glauben? Und es geht ja dabei nicht um heitere, harmlose,
womöglich sogar selbstironische Vorurteile, wie etwa, dass alle Schotten
geizig oder alle Touristen in Brighton schwul seien. Sondern es geht um die
Ausgestaltung eines Feindbildes, und zwar letztlich mit knallharten
militärischen Konsequenzen. Also um ein widerwärtiges Spiel mit
Hunderttausenden von Toten, um nur die Untergrenze zu kennzeichnen.
Ein weiteres konkretes Beispiel. Broder lobt den Fleiß und Bildungshunger
der in Deutschland lebenden Vietnamesen und fragt, warum es - seiner Ansicht
nach - die Moslems denn nicht ebenso machen. Als Antwort schreibt er:
"Vielleicht weil sie" (die Vietnamesen) "aus einer Kultur kommen, in der
Arbeit und Lernen zu den primären Tugenden gehören, während es bei den
Moslems aus der Türkei und den arabischen Ländern (natürlich mit
Abstufungen) vor allem die Ehre, der Respekt und die Unterwerfung sind. Hier
stößt eine Kultur des Fleißes und der Betriebsamkeit mit einer Kultur der
Scham und der Schande zusammen, die auf jede ,Provokation' beleidigt und
aggressiv reagiert." (S. 113)
Ich halte jede Wette, dass Broder, der zwar möglicherweise ein bösartiger
Mensch, aber doch alles andere als ein Idiot ist, es besser weiß. Aber
selbst wenn nicht: Er müsste nur das Branchenbuch einer deutschen Großstadt
zur Hand nehmen, um sich von der Existenz einer Vielzahl kleiner und großer
türkischer Geschäftsleute, iranischer Ärzte, und was sonst noch Zeichen
einer "Kultur des Fleißes und der Betriebsamkeit" sein mögen, zu überzeugen.
Geh rein in einen türkischen Imbiss, sprich mit den Leuten, mach dir ein
Bild von ihrem harten Arbeitspensum - und hör auf, Hunderttausende von
Menschen zu diffamieren!
Doch, wie gesagt, ich glaube nicht, dass Broder diesen Ratschlag wirklich
braucht. Er weiß es. Er hat in Wirklichkeit gar keine persönliche Vorurteile
gegen Moslems. Er spielt "aus übergeordneten Interessen" den Ausländerfeind,
ohne wirklich einer zu sein. Das macht sein Tun nicht besser, sondern
schlimmer.
Anmerkungen-
Bat Ye'or: Eurabia, The Euro-Arab Axis. 2005. Bat Ye'or hat den Begriff
"Eurabia" zwar nicht erfunden, wohl aber dessen Anwendung als Schimpfwort
für die angebliche "Islamisierung" Europas. Sie behauptet, dass seit der
sogenannten Ölkrise von 1973 eine geheime Verschwörung zwischen den
europäischen und arabischen Eliten bestehe. Europa habe sich dadurch vom
Bündnis mit den USA gelöst und sei "in den arabisch-islamischen
Einflussbereich übergewechselt". Deshalb führe Europa, so Bat Ye'or, einen
"versteckten Krieg gegen Israel". Als hervorragenden Beweis nennt sie, dass
die Europäer die Forderung nach einem Palästinenserstaat akzeptieren.
Ein unübersehbares Netz von Websiten propagiert die "Eurabia"-Ideologie und
treibt auf dieser Linie rechtspopulistische "Volksaufklärung". Broders
Arbeiten werden dort vielfach zitiert. Einige Beispiele:
http://eurabia.blogse.nl/
http://www.politicallyincorrect.de/
http://europenews.blogg.de/
http://www.buergerbewegungen.de/islamheute-2.pdf
http://www.akte-islam.de/1.html
Henryk Broder selbst betreibt mit einigen Freunden die Website
http://www.achgut.com/dadgdx/
auf der häufig empfehlende Links zu Texten der "Eurabia"-Ideologen zu finden
sind.
-
Bat Ye'or: Beyond Munich - The Spirit of Eurabia. In:
FrontPageMagazine.com, July 2, 2004. Das Online-Magazin FrontPage ist ein
wichtiger Treffpunkt dieser politischen Strömung. Der Artikel war das
Transkript eines Vortrags, den die Autorin auf einem Seminar im
Französischen Senat gehalten hatte.
- Sebastian Villar Rodriguez im FrontPageMagazine, 20.9.2005
- David Forsmark im FrontPageMagazine, 3.5.2006. Der Autor besprach dort
das Buch "While Europe Slept: How Radical Islam is Destroying the West from
Within" von Bruce Bawer.
- Interview mit Morten Messerschmidt im FrontPageMagazine, 26.4.2006.
Messerschmidt ist Parlamentsabgeordneter der nationalistischen,
rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, die sich gegen Einwanderung und
Multikulturalismus einsetzt.
- Guy Millière im FrontPageMagazine, 26.4.2006
- Bruce Bawer im FrontPageMagazine, 18.4.2006
- Robert Spencer im FrontPageMagazine, 18.9.2004. - Den Wahlsieg der
spanischen Sozialisten im März 2004 bezeichnete Spencer als den "größten
Sieg der radikalen Moslems seit dem 11. September oder sogar seit der
Khomeini-Revolution im Iran". "Osama bin Laden ist dadurch praktisch
spanischer Außenminister geworden." (The Rise of "Eurabia",
FrontPageMagazine, 18.3.2004)
Spencer ist offiziell verantwortlich für die sehr aufwendig und
arbeitsintensiv gemachten antiislamischen Webseiten Jihad Watch und Dhimmi
Watch. Der Umfang dieser stets aktuellen Seiten übersteigt bei weitem die
Möglichkeiten eines Individuums und lässt den Verdacht auf Geldgeber und
Organisatoren zu.
- Andrew G. Bostom im FrontPageMagazine, 13.3.2006
- Lowell Ponte im FrontPageMagazine, 28.3.2006. Der Autor malt auf die von
Rechtsaußen bekannte vulgär-demographische Weise das Aussterben der Europäer
an die Wand.
- Lorenzo Vidino im FrontPageMagazine, 14.3.2005. Der Autor ist
stellvertretender Direktor beim Investigative Project in Washington, das
sich als "Antiterror-Forschungsinstitut" bezeichnet, und Autor des
neokonservativen Online-Magazins National Review.
- Der frühere tschechische Präsident Pavel Kohout im FrontPageMagazine,
7.10.2004
- Pete Fisher im FrontPageMagazine, 7.11.2005.
- "Die Juden sind unser Unglück", behauptete der deutsche Historiker und
Reichtagsabgeordnete Heinrich von Treitschke (1834 - 1896) in seinem 1879
veröffentlichten Artikel "Unsere Aussichten". Der Satz wurde zum Motto des
deutschen Antisemitismus. Broder hat sich inzwischen immerhin zu der Parole
"Die Europäer sind unser Unglück" vorgearbeitet. So die Headline eines
Textes, den er am 28.7.2004 auf seine Website setzte. Broder beklagte sich
dort bitter über die europäische Kritik an Israels "Sperranlage", in Israel
offiziell als "Fence", Zaun, verniedlicht.
- "Humoristische Hasspredigt". Im taz Magazin vom 18.11.2006.
- Als Modell für die allen 1,5 Milliarden Moslems der Welt unterstellte
Verbindung von "chronischem Beleidigtsein" und "unvorhersehbaren Reaktionen"
gelten Broder die Proteste gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen. Er
schreibt: "Millionen von Moslems, die keine Gelegenheit hatten, auch nur
einen Blick auf die Zeichnungen zu werfen, und die nicht einmal wissen, wo
Dänemark liegt, demonstrieren gegen die Kränkung des Propheten, angefeuert
von Imamen, die eine eigene Agenda haben." (S. 18) - "Millionen"? Woher
nimmt Broder das? Er verrät es nicht. 100.000, höchstens 150.000
Demonstranten weltweit dürfte der Realität nahe kommen. Im Rückblick ist
erstaunlich, wie klein die meisten der Demonstrationen (Anfang Februar 2006)
waren. In Djakarta, der Hauptstadt Indonesiens (das Land mit der größten
Moslembevölkerung der Welt), 300 Menschen. 2.000 bis 5.000 Protestierer in
der bengalischen Hauptstadt Dhaka, einer Stadt mit über sechs Millionen
Einwohnern. Ungefähr ebenso viele in Islamabad, der Hauptstadt Pakistans,
einem Land, in dem es mehrere große islamistische Oppositionsparteien gibt.
Ein paar hundert Menschen im afghanischen Kabul. 3.000 Demonstranten in
Kairo, einer Stadt mit über 15 Millionen Einwohnern. Die größten Proteste
fanden in Beirut und in der marokkanischen Hauptstadt Rabat mit jeweils etwa
20.000 Teilnehmern statt. "Millionen"?
Broder und die Fakten: nicht gerade eine Traumpaarung. An mehreren Stellen
seines Buches (u.a. S. 45) behauptet Broder, es gebe in Deutschland "mehr
als 2.000 Moscheen". Aus dem Kontext wird deutlich, dass er diese Zahl
reichlich groß findet und meint, dass weitere nicht mehr benötigt werden.
Das Online-Lexikon Wikipedia schreibt, dass es im Bundesgebiet mehr als
2.600 Räumlichkeiten gibt, die von Moslems religiös genutzt werden.
Überwiegend handelt es sich um Gebetsräume in Wohnhäusern, ehemaligen
Garagen oder Lagerräumen und ähnliche Provisorien, von denen viele vom immer
noch diskriminierten Status der moslemischen Religionsgemeinschaft zeugen.
Nur 143 der Objekte seien "echte" Moscheen, so Wikipedia. Also eigene
Sakralbauten. Erst seit wenigen Jahren bauen moslemische Gemeinden in
Deutschland verstärkt wirkliche Moscheen - und stoßen dabei auf ähnliche
Akzeptanzprobleme wie früher die deutschen Juden bei der Errichtung ihrer
Synagogen.
Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken.
Verlag Wolf Jobst Siedler jr., Berlin. 2006.
* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien in: Wissenschaft und Frieden (W&F), Nr. 1/2007, unter dem Titel "Der Autor, der sich selbst nicht glaubt"
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