"Geschundene Körper – zerrissene Seelen": Von Genitalverstümmelung bis zu Massenvergewaltigungen im Krieg
Weltweite Folter gegen Frauen muss ein Ende haben - Erklärung von amnesty international
Im Folgenden informieren wir über einen spezifischen Aspekt der Anti-Folter-Kampagne von amnesty international (ai): Es geht um Folter an Frauen und Mädchen. Hierzu gab es von ai eine Presseerklärung am 5. März 2001, die wir dokumentieren. Darüber hinaus bringen wir weiter unten Auszüge aus der soeben veröffentlichten ai-Broschüre "Geschundene Körper – Zerrissene Seelen.
Folter und Misshandlung an Frauen", und zwar die Teile des Forderungs- und Empfehlungskatalogs, der sich mit Gewalt gegen Frauen in Kriegs- und Bürgerkriegssituationen befasst.
amnesty international
Pressemitteilung
Berlin, 5. März 2001. Folter an Frauen und Mädchen ist Alltag – weltweit. Die Künstlerin Meret
Becker, Botschafterin der ai-Anti-Folter-Kampagne, stellt heute den neuen Bericht von amnesty
international "Geschundene Körper – zerrissene Seelen" vor. Die Täter sind Staatsbedienstete,
Soldaten in bewaffneten Konflikten, aber auch männliche Familienmitglieder oder Arbeitgeber. Für
viele Frauen ist das Zuhause ein Ort des Terrors. Täglich sterben Frauen und Mädchen an
geschlechtsspezifischen Übergriffen.
Die Menschenrechtsorganisation fordert die Regierungen der Welt auf, Frauen und Mädchen
wirksam vor Folter zu schützen. "Die Missachtung der Menschenwürde von Frauen bereitet den
Boden der Folter", erklärt Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen Sektion von
amnesty international. "Staaten sind nach internationalem Recht verpflichtet, Folter vorzubeugen
und sie zu verhindern. Doch oft sind sie weit davon entfernt. Stattdessen ignorieren sie die Gewalt
gegen Frauen, decken sie, unterstützen sie. Damit tragen sie Mitverantwortung für die Leiden der
Frauen."
Laut Weltbank werden 20 Prozent aller Frauen körperlich oder sexuell misshandelt. Offizielle
Untersuchungen in den USA sprechen davon, dass alle 15 Sekunden eine Frau geschlagen wird
und in jedem Jahr 700.000 Frauen vergewaltigt werden.
"Verbrechen zur Ehrenrettung" – 24 Jahre alt war die Irakerin Kajal Khidr, als sie 1996 von sechs
männlichen Verwandten ihres Mannes gefangen gehalten wurde. Sie beschuldigten Sie des
Ehebruches und folterten die schwangere Frau. Die Männer schnitten ihr ein Stück der Nase ab und
drohten sie umzubringen. Erst nach Monaten konnte sie flüchten und musste aus Angst vor ihren
Verwandten das Land mit ihrer kleinen Tochter verlassen. Zwei ihrer Peiniger wurden für eine Nacht
verhaftet, aber ohne Anklage freigelassen, da sie nur die Ehre der Familie verteidigt hätten – so ist
es im Gesetz verankert. Folter und Morde "im Namen der Ehre" werden auch aus anderen Ländern
immer wieder berichtet, darunter Jordanien, Pakistan und die Türkei. Jährlich sterben mehrere
hundert Frauen den "Ehrentod", die Dunkelziffer ist hoch.
Frauen, die zur Zwangsarbeit, Zwangsprostitution oder Zwangsehe verkauft und gekauft werden,
sind häufig Opfer von Folter. Menschenhandel ist der drittgrößte Profitmarkt der organisierten
Kriminalität nach Drogen- und Waffenhandel. Frauen, die verkauft und gekauft wurden, sind
besonders in Gefahr, physische Gewalt und Vergewaltigung erleben zu müssen.
In bewaffneten Konflikten werden Frauen oft Opfer systematischer sexueller Folter. Tutsifrauen
im Völkermord 1994 in Ruanda, muslimische Frauen, Serbinnen, Kroatinnen und Albanerinnen im
ehemaligen Jugoslawien – sie wurden gefoltert und vergewaltigt weil sie Frauen einer bestimmten
ethnischen Herkunft waren, einer nationalen oder religiösen Gruppe angehörten.
Frauen, die Folter überlebt haben, begegnen zahlreichen Hindernissen bei der Suche nach
Entschädigung. In vielen Teilen der Welt ermittelt die Polizei bei Berichten von Frauen über
Missbrauch durch Verwandte nicht. Meist werden die Frauen zu ihren Peinigern zurückgeschickt.
Frauen in Saudi-Arabien, die aus dem Hause fliehen, um Hilfe bei der Polizei zu suchen, riskieren,
verhaftet zu werden, weil sie ohne männlichen Verwandten in der Öffentlichkeit auftreten. In Thailand
müssen misshandelte Frauen die Polizisten erst bezahlen, bevor diese eine Anzeige aufnehmen.
Weltweit haben nur 27 Staaten die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. In Deutschland
wurde dieser Straftatbestand erst 1997 gesetzlich eingeführt.
amnesty international fordert konkrete Verbesserungen: Gewalt gegen Frauen muss überall auf der
Welt öffentlich verurteilt werden. Berichten über Folter an Frauen muss nachgegangen werden,
Anklage und Bestrafung der Täter muss durch unabhängige Gerichte erfolgen. Ermittler und
Gefängnispersonal müssen für einen Umgang mit gefolterten Frauen speziell geschult werden.
Frauen, die vor frauenspezifischer Verfolgung nach Deutschland fliehen, muss Asyl gewährt werden.
Das bisher einmalige Urteil gegen drei Kriegsverbrecher wegen sexueller Folter als Verbrechen
gegen die Menschlichkeit, die das internationale Tribunal für Ex-Jugoslawien am 22. Februar gefällt
hat, muss wegweisend sein für die internationale Rechtssprechung.
amnesty international
Geschundene Körper – Zerrissene Seelen. Folter und Misshandlung an Frauen
Bonn 2001
Auszüge aus dem Teil "Empfehlungen"
Die Muster, Methoden, Ursachen und Auswirkungen der Folter an Frauen sind maßgeblich durch
das Geschlecht des Opfers bestimmt. Ein Aktionsplan zur Abschaffung der Folter an Frauen muss
deshalb, wenn er Wirkung erzielen will, die geschlechtsspezifische Dimension entsprechend
berücksichtigen.
Folterhandlungen an Frauen stellen einen grundlegenden Verstoß gegen die Menschenrechte dar.
Sie wurden von der internationalen Gemeinschaft als Angriff auf die Menschenwürde verurteilt und
sind gemäß völker- und menschenrechtlichen Normen unter allen Umständen verboten. Dessen
ungeachtet fallen nach wie vor tagtäglich und in allen Teilen der Welt Frauen der Folter zum Opfer.
Es sind daher unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Folterungen an Frauen
zu unterbinden und gänzlich abzuschaffen.
amnesty international ruft die Regierungen der Welt auf, die nachfolgenden Empfehlungen
umzusetzen. Wir laden interessierte Einzelpersonen und Organisationen ein, sich unserer
Kampagne anzuschließen, um den Druck auf die Regierungen zu erhöhen, endlich aktiv zu werden.
Die Empfehlungen stützen sich auf eine Vielzahl von Quellen. Einige sind internationalen
Menschenrechtsstandards entnommen, beispielsweise der UN-Konvention gegen Folter und dem
UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau. Andere lehnen sich
an zur Nachahmung empfohlene Maßnahmen einzelner Regierungen an. Die meisten Empfehlungen
allerdings fußen auf den Erfahrungen nichtstaatlicher Organisationen, die in der weltweiten
Frauenbewegung vereint sind und die an vorderster Front Gewalt gegen Frauen als Verstoß gegen
die Menschenrechte anprangern und bekämpfen.
...
7. Verhütung der Folter an Frauen in bewaffneten Konflikten
Die Staaten sind aufgerufen, ihre Militärangehörigen und sämtliches Personal, das an
Friedens- oder humanitären Hilfseinsätzen der Vereinten Nationen oder regionaler Gremien
beteiligt ist, in geschlechtsspezifischen Fragen des Menschenrechtsschutzes und
völkerrechtlicher Normen zu schulen. Regierungen sollten Aufklärungskampagnen gegen
Folterungen an Frauen in bewaffneten Konflikten durchführen und dabei insbesondere
hervorheben, dass Gewalt gegen Frauen, einschließlich sexueller Gewalt, gemäß
internationalen Menschenrechtsstandards wie auch Grundsätzen des humanitären
Völkerrechts verboten ist. Viele solcher Gewalthandlungen erfüllen den Tatbestand der Folter
oder der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Unter Umständen
sind sie sogar als Kriegsverbrechen, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder als Teil
des Verbrechens des Völkermordes einzustufen.
Die Parteien bewaffneter Konflikte – bewaffnete Oppositionsgruppen inbegriffen – müssen
unmissverständlich klar machen, dass Folterungen, einschließlich Vergewaltigungen und
anderweitige sexuelle Übergriffe gegen Frauen und Mädchen, unter keinen Umständen
geduldet werden.
Geberländer, Hilfsorganisationen und nationale Regierungen sind aufgerufen,
Unterstützungsprogramme für weibliche Gewaltopfer zu finanzieren und auf den Weg zu
bringen.
Humanitäre Hilfsorganisationen sollten Richtlinien und Verhaltensmaßregeln aufstellen, um
zu gewährleisten, dass Hilfsleistungen geschlechtsspezifisch differenziert gewährt und
Frauen dabei nicht diskriminiert werden. Insbesondere sollten weibliche Gewaltopfer Zugang
zu gesundheitlicher Versorgung und Beratung erhalten. In die Konzeption und Durchführung
von Unterstützungsprogrammen müssen Frauen mit einbezogen sein.
Die Staaten sind aufgerufen, unverzüglich die Zusatzprotokolle I und II der Genfer
Konventionen von 1949 zu ratifizieren.
Ebenso sollten die Regierungen umgehend das Römische Statut des Internationalen
Strafgerichtshofs ratifizieren und dafür Sorge tragen, dass ihre innerstaatlichen Gesetze mit
den Erfordernissen des Gerichts in Einklang stehen.
Staaten sollten den Grundsatz der universellen Gerichtsbarkeit zum Tragen bringen, d.h. die
mutmaßlich für Folterungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder
Völkermord Verantwortlichen unabhängig vom Ort der Tat und ungeachtet der Nationalität von
Täter oder Opfer vor Gericht bringen. Alle Staaten haben darüber hinaus die Pflicht, bei der
Identifizierung, Festnahme, Auslieferung und Bestrafung von Personen, die der genannten
Verbrechen verdächtig sind, zusammenzuarbeiten.
Regierungen sollten beim Flüchtlingsschutz und bei den Verfahren zur Feststellung der
Flüchtlingseigenschaft einen geschlechtsspezifisch differenzierten Ansatz zugrundelegen.
Es müssen diejenigen Menschen internationalen Schutz erhalten, deren eigener Staat nicht
willens oder nicht in der Lage ist, sie vor Übergriffen zu schützen, einschließlich vor solchen
Übergriffen, die von bewaffneten Gruppen oder Privatpersonen ausgehen.
Zurück zur Seite "Menschenrechte"
Zurück zur Homepage